S&OP: 10 Praktiker-Tipps zur Verbesserung der Prognosegüte Ihres Unternehmens
Wie gut sind Ihre Prognosegüten?
In den heutigen dynamischen und volatilen Märkten gewinnt der Forecast als Steuerungsinstrument zur Planung strategischer Entscheidungen und operativer Prozesse an Bedeutung. Je höher die Vorhersagegenauigkeit und damit Qualität der Betriebsplanung und Vertriebsplanung eines Unternehmens ist, desto wirtschaftlicher können die vorhandenen Ressourcen eingesetzt und Kundenbedarfe befriedigt werden. Wer seine Demand Planning Prozesse messbar im Griff hat, schafft eine valide Datenbasis, an welcher sich alle Prozessbeteiligte ausrichten können, ohne dass „Trouble-Shooting“ den Geschäftsalltag bestimmt.
Zur Erstellung von Absatzplänen im S&OP mit einer hohen Prognosegüte müssen die richtigen statistischen Methoden angewandt, auf der richtigen Produktebene geplant, das gesamte Know-How der Vertriebsabteilung einbezogen und ein stringenter Planungsprozess aufgesetzt werden.
1. Halten Sie den Forecast für Ihr S&OP frei von politischen Spielchen
Das Ziel der Absatzplanung sollte sein, das operative Geschäft möglichst genau abzubilden und die Realität möglichst genau zu treffen, um allen Abteilungen eine valide Planungsgrundlage zu bieten. Unter dieser Prämisse ist es oberstes Gebot Planzahlen zu genieren, die weder Sicherheitspuffer- oder abschläge noch politische Interessen beinhalten. So kann es einerseits vorkommen, dass Prognosewerte bewusst zu niedrig angesetzt werden, um bei einer Übererfüllung bonifiziert zu werden. Andererseits werden Prognosewerte auch bewusst zu hoch eingestellt, um die Organisation zur maximalen Warenverfügbarkeit zu bewegen oder um bei knappen Verfügbarkeiten eine überproportional hohe Zuteilung zu erhalten („Shortage Gaming“). Da eine kostenoptimale Produktion nur bei hohen Prognosegüten stattfinden kann, sollten jegliche politischen Interessen für die operative Absatz- und Produktionsplanung eliminiert werden.
2. Nutzen Sie leistungsstarke IT und Algorithmen für eine optimale Unternehmenssteuerung
In vielen Fällen ist der Einbezug einer leistungsstarken Prognosesoftware mit statistischen Algorithmen in den Prozess der Prognoseerstellung sinnvoll. Unter dem Stichwort „Advanced Analytics“ werden innovative mathematische Methoden angewandt, um eine statistische Prognose maßgeschneidert für spezifische Produktsortimente zu ermitteln. Je nach Verlauf individueller Absatzkurven, z.B. beeinflusst durch Basiswert, Trends, Saisonalität oder Zyklen, kommen hierbei andere statistische Methoden zum Einsatz. Eine leistungsstarke Software optimiert die Prognosegenauigkeit des Sales and Operations Planning, indem eine Vielzahl an Methoden für jeden einzelnen Artikel auf verschiedenen Planungsebenen des S&OP getestet und diejenige Methode mit der höchsten Vorhersagegenauigkeit ausgewählt wird. Die Auswahl der Methode wird im System fortlaufend überprüft, sodass bei Veränderung von Rahmenbedingungen dem Planer eine andere statistische Methode vorgeschlagen wird. Im Best-Practice-Exempel werden neben der Betrachtung von Absätzen aus der Vergangenheit noch relevante externe Einflussfaktoren wie z.B. das Wetter in den statistischen Forecast integriert. Nicht immer ist eine Prognosesoftware zwingend erforderlich, jedoch macht es immer Sinn die Prognosegüten der etablierten Absatzpläne gegen die Prognosegüten bei Anwendung einfacher statistischer Methoden zu überprüfen und somit die Qualität der eigenen Prognosen fortlaufend zu hinterfragen.
3. Beschäftigen Sie sich intensiv mit den Algorithmen
Ist eine Prognosesoftware im Unternehmen einmal eingeführt, ist dies nicht der Abschluss des Projektes, sondern der Beginn. Die meisten statistischen Methoden können durch Kalibrierung von Parametern wie z.B. Saisonalitäts- oder Trendvariablen optimiert werden. Darüber hinaus führen dynamische Absatzmärkte dazu, dass die Variablen sich bei einzelnen Sortimenten im Zeitablauf verändern. Eine einmalige Einstellung der Variablen ist somit nicht ausreichend. Aus diesem Grund sollte über den Aufbau von Ressourcen im Unternehmen nachgedacht werden, welche sich mit den Algorithmen intensiv beschäftigen und diese regelmäßig überprüfen und adjustieren. Auch wenn keine Prognosesoftware Verwendung findet, können interne Experten, welche sich im Rahmen der bestehender IT-Möglichkeiten (z.B. MS-Excel) mit einfachen statistischen Methoden zur Prognose von Absatzzahlen beschäftigen, einen Mehrwert bieten.
4. Nutzen Sie das Know-how Ihres Vertriebs
Über die reine Statistik hinaus verfügt der Vertrieb regelmäßig über wertvolle Informationen hinsichtlich des zukünftigen Bestellverhaltens der Kunden, die eine Software nicht kennen kann, wie beispielsweise Promotions, Wettbewerberverhalten oder Neuprodukteinführungen. Keine Prognosesoftware kann eine gezielte Aktion des Kunden vorhersehen, wenn diese in der Vergangenheit nicht aufgetreten ist. Wird die Aktion jedoch im System gepflegt, sind moderne Verfahren durchaus in der Lage die Auswirkungen auf den Absatz solide abzuschätzen. Somit ist also das Zusammenspiel des statistischen Forecasts mit dem Know-how des Vertriebs entscheidend, um Forecast-Prozesse zu optimieren. Der statistische Forecast sollte einerseits vor Ermittlung der Planzahlen durch Vertriebs-Know-how „gefüttert“ und andererseits nach Ermittlung der Planzahlen als reiner Vorschlag verstanden werden. Dieser statistische Vorschlag kann dann, wenn notwendig, vom Vertrieb angepasst und überschrieben werden. Die Verantwortlichkeit für die Werte des Forecasts bleibt somit beim Vertrieb und sollte nicht auf eine Maschine „abgewälzt“ werden. Der Vergleich zwischen Statistik und final überarbeitetem Vertriebsforecast lässt Schlüsse zu, ob der Vertrieb zusätzliche Informationen sinnvoll eingebracht oder die Anpassung durch den Vertrieb sogar zu einer Verschlechterung der Prognose geführt hat.
5. Forecast-Prozesse optimieren: Definieren Sie den richtigen Zeithorizont und das richtige Zeitintervall
Der Zeithorizont gibt an, wie weit in die Zukunft ein Forecast angelegt sein soll. Je nach Geschäftsgegebenheiten kann ein sinnvoller Zeithorizont für Ihren Forecast-Prozess z.B. 6, 12 oder sogar 24 Monate sein. Einfluss auf den Zeithorizont des Forecasts haben Beschaffungszeiten im Einkauf, Produktionszyklen in der Fabrik oder die Versanddauer in der Logistik. Je länger die internen Prozesse zur Herstellung und zum Versand der Erzeugnisse benötigen, desto eher besteht die Notwendigkeit eines längeren Zeithorizonts.
Das Zeitintervall gibt an in welchen Abständen der Forecast überarbeitet und erneuert werden soll. Hier können tägliche, wöchentliche oder monatliche Überarbeitungen sinnvoll sein. Wesentlichen Einfluss auf das nötige Zeitintervall haben die Dynamik des Geschäftsumfeldes und die Planungsstabilität. Ist Ihr Geschäftsumfeld z.B. geprägt von nicht kommunizierten und unvorhersehbaren Marketingaktionen Ihrer Kunden, sollte in kürzeren Zeitintervallen geplant werden. Befinden Sie sich in einem stabilen Geschäftsumfeld mit konstanten Absätzen und planen Sie die Marketingaktivitäten mit Ihrem Kunden langfristig und gemeinsam, kann der Zeitintervall verlängert werden.
Zur Definition von Zeithorizont und Zeitintervall sollten alle Abteilungen im Rahmen von Interviews oder Workshops nach Ihren Bedürfnissen an Vorlaufzeiten und Planstabilität befragt werden, um praktikable Planwerte festzulegen und diese im Unternehmen zu etablieren.
6. Definieren Sie innerhalb Ihres S&OP die richtige Ebene, auf der Ihr Forecast durchgeführt wird
Nach der Definition von Zeithorizont und Zeitintervall ist die Planungsebene zu definieren, auf der der Forecast erstellt werden soll. Je nach Produktgruppe, Kundeneinfluss und Marktstruktur können gänzlich unterschiedliche Dimensionen sinnvoll sein, z.B. Artikel/Artikelgruppe, Marke, Kunde/Kundengruppe, Verpackungsformat, oder jegliche Kombination dieser Dimensionen. Um die richtige Planungsebene für Ihren Forecast zu definieren sind zumindest vier Parameter zu analysieren:
- die Verwendungsebene des Forecasts,
- der Einfluss von einzelnen Kunden oder Märkten auf den Gesamtabsatz,
- der statistische Forecast und
- die Praktikabilität der Planung
Die Ebene auf welcher der Forecast im Unternehmen hauptsächlich Verwendung findet, stellt die Zielebene des Forecasts dar. Dies kann z.B. die Artikelgruppenebene sein, insbesondere, wenn einzelne Artikel innerhalb einer Artikelgruppe im Vertrieb untereinander austauschbar sind, in den Produktionsabläufen ähnliche Herstellungsprozesse durchlaufen und im Einkauf aus ähnlichen Materialien bestehen. Ist die richtige Verwendungsebene definiert, gilt es die Planungsebene zu evaluieren. Entspricht die Planungsebene nicht der Verwendungsebene, so muss nach Durchführung der Planung eine Disaggregation oder Aggregation der Prognosewerte der Planungsebene auf die Prognosewerte der Zielebene vorgenommen werden. Zur Bestimmung der richtigen Planungsebene sollte im ersten Schritt der Einfluss einzelner Kunden auf den Gesamtabsatz evaluiert werden. Ist dieser besonders hoch, so kann eine Planung auf Kundenebene Sinn machen. Handelt es sich um sehr zersplitterte Kundenstrukturen, ist der Kunde keine relevante Planungsebene. Im zweiten Schritt sollte der statistische Forecast betrachtet werden. Durch den Vergleich der Prognosegüten des statistischen Forecasts auf verschiedenen, sinnvollen Planungsebenen, lässt sich über die Auswahl der Ebene mit der besten Vorhersagegenauigkeit die beste Planungsebene ableiten. Diese muss zum Schluss noch auf Praktikabilität hin überprüft werden, denn je nach Artikelsortiment kann eine Planung auf Artikelebene zu aufwendig sein, sodass dies ggf. keine valide Option darstellt. In diesem Fall muss ein Kompromiss zwischen Vorhersagegenauigkeit im Rahmen der Statistik und Praktikabilität der Planbarkeit gefunden werden.
7. Institutionalisieren Sie den Forecast-Prozess
Die Institutionalisierung eines praktikablen Prozesses zur Durchführung der Absatzplanungen im Unternehmen mit klar definierten und standardisierten Prozessschritten und Zeitabläufen schafft Transparenz über alle Abteilungen hinweg und hilft, dass der Forecast von allen Abteilungen anerkannt wird. Erarbeiten Sie die Prozessschritte unter Einbezug von Entscheidungsträgern aus unterschiedlichen Bereichen und inkludieren Sie zumindest die folgenden wesentlichen Aktivitäten unter Angabe von festgelegten Zeitpunkten:
- Upload der Ist-Absätze des vergangenen Zeitraums
- Einpflegen von Vertriebs- und Marketingaktionen als Input für die statistischen Berechnungen
- Durchführung statistischer Prognosen und Upload dieser in die Planungssysteme des Vertriebs
- Überarbeitung der statistischen Vorschlagswerte durch den Vertrieb unter Einbezug aktueller Kundeninformationen
- Review und Diskussion des aktuellen Forecasts im Rahmen eines S&OP-Meetings
- Fixierung der neuen Forecasts in den IT-Systemen und Verteilung dieser an alle internen und externen Verwender
8. Integrieren Sie den Forecast Ihres S&OP in eine konsistente Zahlenwelt
Neben der Definition eines praktikablen Prozesses zur Absatzplanung sollten die Zahlenwelten, in denen der Forecast verarbeitet und kommuniziert wird, standardisiert und vereinfacht aufbereitet werden. Definieren Sie klar strukturierte Tabellen mit – je nach den Bedürfnissen der Adressaten innerhalb Ihrer Organisation – Angaben zu Ist-Absätzen, Prognosewerten, Vorjahres-Absätzen und Abweichungen auf allen relevanten zeitlichen Ebenen, wie dem Einzelmonat oder kumulierten Jahreswerten, und allen relevanten Sortimentsebenen, wie bestimmten Produkt- oder Artikelgruppen. Die aufbereiteten Forecasting-Tabellen sollten einheitlich und über ein zentrales Tool im Unternehmen kommuniziert werden. Stellen Sie sicher, dass die Adressaten den größtmöglichen Nutzen direkt aus den kommunizierten Zahlenwelten ziehen können und nur wenig Adjustierungen notwendig sind. So werden unnötige zusätzliche Schattenplanungen vermieden.
9. Messen und kommunizieren Sie Prognosegüten innerhalb des S&OP
Im Regelfall führt die Einführung der Messung und Kommunikation von Prognosegüten bereits zu einer erheblichen Verbesserung der Prognosegüten. Das Bewusstsein der Mitarbeiter über die Vorhersagegenauigkeiten einzelner Sortimente bewirkt ganz automatisch eine erhöhte Fokussierung der Bereiche mit geringen Prognosegüten und ein gesundes Konkurrenzdenken, wenn die Planungsqualität verschiedener Kunden oder Sortimente im Verantwortungsbereich unterschiedlicher Mitarbeiter liegen und vergleichbar gemessen werden.
Um eine Vergleichbarkeit herstellen zu können, empfiehlt sich die Messung von Prognosegüten über relative Kennzahlen, wie z.B. den Mean Absolute Percentage Error (= MAPE) und das Tracking Signal (= TS). Die Kennzahl MAPE drückt hierbei die über den Betrachtungszeitraum durchschnittliche, absolute, prozentuale Abweichung der Prognosewerte im Vergleich zum Ist-Absatz aus, wobei nicht zwischen einer Über- oder einer Unterschätzung differenziert wird. Ein MAPE-Wert von 10% indiziert demnach, dass ein Sortiment im Durchschnitt über den Betrachtungszeitraum mit 10%iger Abweichung zum Ist-Absatz geplant wurde. Da eine konstante Überschätzung der Absätze zu hohen Lagerbeständen und eine konstante Unterschätzung zu regelmäßigen Stock-Outs führen würde, wird die Kennzahl MAPE um die Kennzahl des Tracking Signals ergänzt. Das Tracking Signal nimmt als normierte Kennzahl Werte zwischen -1.00 und +1.00 an. Ein negativer Wert drückt eine strukturelle Überschätzung im Forecast und ein positiver Wert eine strukturelle Unterschätzung im Forecast aus. Werte zwischen -0.25 und +0.25 gelten als strukturell in Ordnung, sodass Über- und Unterschätzungen innerhalb eines Sortiments sich im Zeitablauf ausgleichen. Werte unter -0.25 oder über +0.25 deuten auf eine strukturelle Über- bzw. Unterschätzung hin und es besteht Handlungsbedarf. Etablieren Sie innerhalb Ihres S&OP ein Forecast-Reporting, um die Qualität Ihrer Vorhersagen in allen Sortimenten stetig nachzuhalten, Verbesserungsmaßnahmen abzuleiten und umzusetzen.
10. Incentivieren Sie Ihre Vertriebsmannschaft bei guten Vorhersagen
Eine gute Vorhersagequalität erleichtert die Steuerbarkeit des Unternehmens und reduziert den Aufwand der Organisation erheblich, sodass eine Incentivierung der Planungsverantwortlichen – i.d.R. der Vertriebsmannschaft – sinnvoll ist. Die Art der Incentivierung muss je nach Bedeutung und Komplexität der Absatz- und Produktionsplanung individuell festgelegt werden und kann sowohl monetär als auch rein qualitativ erfolgen. Wenn Prognosegüten für alle Mitarbeiter offen kommuniziert werden, sollten besonders gute Vorhersagen regelmäßig vom Top-Management hervorgehoben werden. Auf diese Weise findet eine der wirkungsvollsten Incentivierungen – die Anerkennung/Wertschätzung – ohne finanziellen Mehraufwand bereits statt. Ist die Absatzplanung von großer Bedeutung für das Unternehmen, so bietet sich eine zusätzliche finanzielle Anerkennung an, um den größtmöglichen Fokus auf die Planungsqualität zu legen.
Fazit
Durch konsequente Anwendung der obengenannten Tipps zur Verbesserung ihres S&OP schaffen Sie es Ihre Vorhersagegenauigkeit signifikant zu steigern. Verhindern Sie politische Einflüsse in Ihren Prognosen, machen Sie sich einfache, aber auch innovative statistische Methoden zu Nutze und stellen Sie sicher, dass das gesamte Wissen Ihrer Vertriebsmannschaft im Forecast verarbeitet wird. In Kombination mit einem strukturierten und zeitlich abgestimmten Planungsprozess und einem stringenten Reporting können Sie Ihre Absatzplanung kontinuierlich verbessern und auf die nächste Stufe heben.