Integrierte Digitalisierung des strategischen Einkaufsprozesses
Big Data, Einkauf 4.0, Industrie 4.0, Business Process Engineering, Internet of Things (IoT), Collaboration/Enterprise 2.0, Cloud Computing, digitale Transformation oder allgemeiner gesagt: Das Themenfeld Digitalisierung ist ein Bereich, der die Geschäftsprozesse im Allgemeinen und die des Einkaufs im Speziellen in Zukunft noch viel stärker beeinflussen wird.
ragt man bei Einkäufern nach, was sie unter Digitalisierung entlang der Einkaufsprozesse verstehen und welche Auswirkungen das zukünftig digital vernetzte Arbeiten auf die strategischen und operativen Arbeitsabläufe haben wird, herrscht oft erst einmal Unsicherheit bei den Befragten.
Die Digitalisierung unserer Arbeitswelt ist schon lange im Gang und wird ständig erweitert. Aus keinem Büro im Einkauf ist ein Computer mit Internetanschluss mehr wegzudenken. Jedoch wirken in vielen Bereichen der eigentlichen Zusammenarbeit die Computer-Arbeitsplätze noch wie vereinzelte Inseln, zwischen denen Informationen oft nur manuell ausgetauscht werden, weil diese an den Schnittstellen aufgrund von Medienbrüchen erst ausgedruckt werden müssen, um dann erneut eingegeben zu werden.
Eine so umständliche Arbeitsweise ist nur dann sinnvoll, wenn während dieser Weitergabe die eigentliche Information bereits weiterverarbeitet und damit im Vergleich zur Ausgangslage aufgewertet ist. In allen anderen Fällen muss das Ziel in Zukunft sein, alle automatisierten und noch zu automatisierenden Datenverarbeitungsschritte digital zu integrieren, egal ob sie einfach oder kompliziert zu bearbeiten sind. Ohne die oben beschriebenen Medienbrüche zwischen digital und analog, die bisher zu manuellen Mehrarbeiten (z.B. Überprüfung von Listen in Excel) führen, können Informationen zukünftig automatisch zwischen den unternehmensinternen Kollegen und externen Lieferanten im Prozess übertragen werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der integrierte digitalisierte Prozess das Rückgrat der Wertschöp-fungskette darstellen wird. Nur noch dort, wo die Prozesskette (noch) nicht digitalisiert ist, wird es notwendig sein, einen Mitarbeiter zu beschäftigen. Diese Form der Digitalisierung wird in Zukunft ebenfalls massiven Einfluss auf den Einkauf 4.0haben.
Im operativen Einkauf hat die integrierte Digitalisierung schon länger Einzug gehalten. Beispielsweise wird das Bestellwesen in vielen Unternehmen bereits über ERP-Systeme (= Enterprise Resource Planning) wie das des Softwareherstellers SAP mit EDI-Verbindungen (= Electronic Data Interchange) zu Lieferanten wie z.B. Logistikdienstleistern, virtuellen Marktplätzen (z.B. Katalog- oder Auktions-Plattformen) oder Kreditinstituten digital abgewickelt.
Die immense Bedeutung integrierter digitaler Prozesse ist für den strategischen Einkauf (= strategischer Einkaufsprozess und Lieferantenmanagementprozess) in vielen Einkaufsabteilungen in einigen Unternehmen schon zu Teilen als Effizienzhebel wie z.B. durch automatisierte Auswertungen von elektronischen Ausschreibungen und Effektivitätshebel wie bspw. durch eAuctions erkannt. Jedoch ist diese Bedeutung hinsichtlich ihres vollständigen Potentials bei weitem noch nicht in ihrer Gänze ausgeschöpft.
Durch eine integrierte Digitalisierung des strategischen Einkaufs werden die prinzipiellen Inhalte der Arbeitsschritte kaum verändert. Es wird vielmehr der Arbeitsprozess durch technologische Innovationen personell verschlankt, beschleunigt und qualitativ verbessert. Das Ziel ist es, durch eindeutig abbildbare Regelwerke repetitive, zeitaufwändige und fehleranfällige Arbeitsschritte von IT-Systemen anstatt von Mitarbeitern durchführen zu lassen. Dies gewährt eine gleichbleibende hohe Qualität der Daten, Analysen und Entscheidungen. Das Ganze geschieht mit kürzeren Durchlaufzeiten und geringeren Personalkosten. Somit wird im digital integrierten strategischen Einkauf der Zukunft nur noch an jenen Stellen ein Mitarbeiter eingesetzt werden, an denen Entscheidungen getroffen werden müssen, die ein IT-System nicht selbstständig machen kann, darf oder soll.
Generell lassen sich die kompletten Prozesse im strategischen Einkauf mit einem so genannten Ticket-Tool-System steuern, da diese linear und sequenziell zwischen den Beteiligten ablaufen. Das heißt, dass immer ein Schritt nach dem anderen gemacht wird. Solche Ticket-Tools sind keine neue Erfindung. Sie werden im Bereich des Kunden- und Störfallmanagement, z.B. von IT- und Telekommunikationsfirmen, seit Mitte der 1990er Jahre breit eingesetzt. Inzwischen ist auf dem Markt eine Vielzahl von Ticket-Softwaresystemen verfügbar. Im strategischen Einkauf können solche Ticket-Tools jedoch noch nicht für einen komplett digital integrierten Prozess eingesetzt werden. In diesen Tools werden die Prozessschritte sowie die beteiligten Funktionen definiert und den beteiligten Funktionen werden Mitarbeiter zugewiesen. Sobald ein Mitarbeiter mit seiner Arbeit fertig ist und seinen Arbeitsschritt abgeschlossen hat, erkennt das Ticket-System, welche Funktion nun das Ticket bearbeiten muss und welcher Mitarbeiter diese Funktion aufgrund freier Kapazität und passender Kompetenzen ausüben kann. Vor und nach jedem Schritt kann das Ticket-System Informationen mit anderen IT-Systemen austauschen. Deshalb wird das Ticket hinsichtlich der auf ihm vorhandenen Informationen immer umfassender, je weiter der Prozess voranschreitet. Abhängig vom Ziel des Prozessschrittes werden unterschiedliche Informationen aus dem Ticket genutzt und weiterverarbeitet.
Innerhalb des industriell ausgerichteten aber noch nicht durchgehend digital integrierten strategischen Einkaufs gibt es noch eine Reihe von erheblichen Ineffizienzen, deren Ursachen durch Prozess-Digitalisierung innerhalb eines Ticket-Tools beseitigt werden können.
Wie die herkömmlichen Themen und Herausforderungen des strategischen Einkaufs von dieser digitalen Vernetzung weiterentwickelt werden und wie dadurch die Arbeitsleistung der strategischen Einkäufer aufgewertet und verdichtet werden kann, erläutern wir im Folgenden entlang des strategischen Einkaufsprozesses (= “strategic sourcing“) (Vgl. Abbildung 1).
Schritt 1: Bedarfsanalyse – Saubere Daten für richtungsweisende Analysen
Dem integrierten und digitalisierten strategischen Einkaufsprozess liegt eine Datenbasis zugrunde, in der alle wichtigen Daten jederzeit verfügbar und auf dem neuesten Stand gehalten sind. Dafür muss primär sicher gestellt werden, dass alle Stamm- und Bewegungsdaten der Artikel in den IT-Systemen verfügbar sind. Dies beginnt bei den artikel- und warengruppenspezifischen Spezifikationen. Welche Details und welche Spezifikationen dies sind, muss jedes Unternehmen je Warengruppe sowie Artikel selbst definieren. Zudem muss bestimmt werden, welche Daten in welchem Datenformat gespeichert werden sollen (z.B. Postleitzahlen: In Deutschland nur fünfstellige Zahlen, in England Buchstabenkombinationen und Zahlen).
Für jeden Datensatz muss ein Verantwortlicher eindeutig definiert werden, der den entsprechenden Datensatz pflegt. Danach kann der Datensatz in andere Systeme kopiert werden. Die Datenformate werden auch an Lieferanten weitergegeben. Diese sollen alle Informationen zu ihren Artikeln und Konditionen nach diesem vorgegebenen Schema aufbereiten und über eine elektronische Schnittstelle bereitstellen. Dadurch müssen nie wieder Ist-Spezifikationen „von Hand“ ins System eingepflegt werden, sondern sie kommen direkt vom Lieferanten. Die heute meist sehr aufwendige und zeitintensive Spezifikationspflege wird somit auf die Definition der Soll-Spezifikationen durch die Fachabteilungen unter Einbindung des Einkaufs reduziert. Neben den Stammdaten für Artikel gibt es auch noch die sogenannten Bewegungsdaten. Zu den Bewegungsdaten zählen z.B. die historischen und prognostizierten Absatzmengen eines Artikels. Hier ist es wichtig, dass sichergestellt wird, dass die Bewegungsdaten richtig erfasst werden. Das heißt, dass z.B. bei jeder Warenentnahme im Lager sofort und zuverlässig der Bestand im System reduziert wird. Auch die zukünftigen Mengen können nur dann gut berechnet werden, wenn die historischen Mengen pro Artikel aus den Systemen abrufbar sind.
Die Validierung der Daten (z.B. das richtige Datumsformat) sowie die Verifizierung der Daten (z.B. nicht vorhandene Daten oder eine ungewöhnlich hohe Bestellmenge im Vergleich zur vergangenen Periode) wird bereits beim Eintippen in den Computer oder beim Einlesen externer Daten in das ERP automatisiert durchgeführt. Bei fehlenden oder wahrscheinlich falsch ausgefüllten Datenfeldern wird ein direkter Hinweis auf dem Bildschirm (z.B. eine Sicherheitsnachfrage, ob die eingegebene Bestellmenge richtig sein kann) erzeugt, oder es wird ein Ticket im Ticket-Tool erstellt und an den entsprechenden Verantwortlichen für die Daten (z.B. Lagerleiter, wenn Bestände falsch sind oder Leiter Controlling, wenn Finanzdaten nicht stimmen) weitergeleitet. Falls bei Lieferanten-Daten etwas unstimmig ist, werden Lieferanten automatisch per E-Mail informiert. So können die Daten sofort korrigiert werden, so dass im weiteren strategischen Einkaufsprozess keine falschen oder fehlenden Datensätze verwendet werden. Eine unzureichende Datenbasis, die zur Folge haben kann, dass falsche Analysen, Prognosen und Entscheidungen getroffen werden, kann damit im Rahmen der integrierten Digitalisierung ausgeschlossen werden.
Der Start des eigentlichen strategischen Einkaufsprozesses wird so gesteuert, dass Grenzwerte oder Datums-Marker für jede Warengruppe bzw. jeden Artikel festgelegt werden. Grenzwerte können z.B. historische oder prognostizierte Absatzmengen, Preise, Rohstoffindizes oder Spezifikationen sein. Datums-Marker könnte z.B. immer der 1. Werktag im Quartal, alle vier Wochen oder Ende Q3 sein. Im Hintergrund überprüft das System kontinuierlich, ob bei einer Warengruppe oder einem Artikel die aktuellen Zahlen außerhalb der definierten Grenzwerte (Preisanstieg, Mengenanstieg) liegen oder ob das eingestellte Datum überschritten ist. Dies ist für das System das Signal, dass diese Warengruppe wieder einer Analyse unterzogen werden muss. Das Ticket-System legt somit für diese Warengruppe ein Ticket an.
Zunächst ermittelt das Ticket-System aus den Stammdaten des Systems den Namen des für diese Warengruppen zuständigen strategischen Einkäufers. Das Ticket wird dem strategischen Einkäufer in Echtzeit auf dessen Bildschirm angezeigt. Im Ticket werden alle Daten zu der Warengruppe, den Artikeln und den Lieferanten auf verschiedenen Reitern angezeigt. Das heißt, alle Daten werden direkt aus den jeweiligen IT-Systemen geladen, verrechnet und grafisch aufbereitet dargestellt. Über voreingestellte Parameter werden z.B. ABC-Analysen der Lieferanten nach Volumina, ABC-XYZ-Analysen der Artikel nach Absatzmenge und Absatzfrequenz erstellt. Somit sieht der strategische Einkäufer nicht die Rohdaten aus den IT-Systemen, sondern die grafisch aufgearbeiteten Darstellungen. In diesen Darstellungen werden automatisiert erste Hinweise oder Optimierungs-Tipps gegeben: z.B. werden Berichte generiert, wenn die Menge der B- und C- Artikel sehr hoch ist oder es zu viele CZ-Artikel gibt, die schwer planbar sind und kaum Umsatz erzeugen.
Muster, aus denen sich Hinweise ergeben, werden durch farbliche Markierung deutlich angezeigt. Sobald der strategische Einkäufer die Grenzvorgaben (z.B. Einkaufsvolumen-Anteil: A-Artikel 80%, B-Artikel 15% und C-Artikel 5%) für diese Markierungen ändert, ändern sich auch die farblichen Markierungen. Der strategische Einkäufer bekommt also die Daten schon aufbereitet dargestellt und kann durch Grenzwerteinstellungen und grafische Markierungen erste Erkenntnisse gewinnen. So kann er sich unmittelbar strategisch mit den Dateninhalten beschäftigen und muss seine Energie nicht in die operative Datenaufbereitung investieren.
Schon in diesem Schritt kann dem strategischen Einkäufer Potential aufgezeigt werden. Falls der strategische Einkäufer beispielsweise erkennt, dass Einsparpotential aufgrund einer Mengenreduzierung besteht (z.B. Reduktion der Reinigungshäufigkeit in Büros), kann das geöffnete Ticket mit einem Änderungsvorschlag an den Kostenstellenverantwortlichen weitergeleitet werden. Dieser kann den Vorschlag annehmen oder mit Begründung ablehnen. In beiden Fällen muss das Ticket von dem jeweiligen Vorgesetzten nochmals bestätigt werden.
Sobald der strategische Einkäufer Abweichungen identifiziert, die entlang des strategischen Einkaufsprozesses korrigiert werden können, kann er in dem Ticket einen Artikel oder einen Lieferanten markieren und eine bestimmte Aktion ausführen. Aktionen sind z.B. der Marktvergleich für einen bestehenden Artikel oder eine direkte Nachricht an den Lieferanten, dass die Zahlungs- oder Lieferkonditionen verbessert werden müssen.
Der strategische Einkäufer kann also direkt mit internen Abteilungen oder mit dem Lieferanten über das Ticket kommunizieren, Einsparungen anstoßen oder den Markt analysieren sowie die Konditionen verbessern. Bei der Kommunikation mit dem Lieferanten können die Gesprächsinhalte wie im Vertrieb in einem CRM-System (= Customer Relationship Management System) im Ticket notiert werden, um auch bei Urlaubsvertretungen oder in ähnlichen Situationen eine lückenlose Informationskette sicherzustellen.
Wenn eine direkte Kommunikation mit dem Lieferanten nicht zielführend war oder nicht gewollt ist, kann der strategische Einkäufer das durch Knopfdruck im Ticket weitergehen und den nächsten Schritt anstoßen – in diesem Fall die Einkaufsmarktanalyse.
Schritt 2: Einkaufsmarktanalyse – Schnelles Finden und Freigeben von Alternativen
Im nächsten Schritt werden die im Ticket bereits zusammengetragenen Soll-Spezifikationen genutzt, um diese, wenn nötig noch einmal mit den Fachabteilungen abzustimmen. Dafür kann er in diesem Schritt das Ticket an einen Kollegen aus der Fachabteilung weiterleiten. Diese bekommen die Spezifikationen angezeigt und werden vom System aufgefordert, zu bestätigen, dass die Spezifikationen noch gültig sind. Andernfalls werden die Spezifikationen im Ticket direkt korrigiert, und das Ticket-System übernimmt die neu definierten Soll-Spezifikationen in das ERP-System.
Anschließend kann der strategische Einkäufer das System per Knopfdruck über elektronische Schnittstellen zu Datenbanken und Suchmaschinen nach optimalen Lieferanten für die Soll-Spezifikationen suchen lassen.
Die Ergebnisse können in Echtzeit im Ticketsystem angezeigt und durch Eingabe von weiteren Filteroptionen (z.B. Lieferumkreis, Preise, Liefermengen, Lieferbedingungen, Spezifikationen, Qualitätsnormen, etc.) weiter verfeinert werden. Am Schluss erhält der strategische Einkäufer eine Liste von Lieferanten, die diesen Artikel unter Einhaltung der Soll-Spezifikationen und zu den vorher definierten Konditionen liefern können. Zudem wird dem strategischen Einkäufer angezeigt, wie sich das Einkaufsvolumen auf die identifizierten Lieferanten verteilt. Hier kann bereits zum Zeitpunkt der Lieferantensuche Potential, z.B. durch Volumenbündelung bei einem Lieferanten, identifiziert werden. Der strategische Einkäufer erhält einen Marktüberblick über die zu beschaffenden Artikel sowie gleichzeitig einen Überblick über leistungsfähige Lieferanten und potentiell anwendbare Einsparhebel.
Die Quellen für die beschriebene Einkaufsmarktforschung können sowohl frei zugängliche als auch kommerzielle Quellen sein. Zu den frei zugänglichen institutionellen Quellen gehören zum einen Behörden wie das Bundesamt für Statistik, die EU (Eurostat) oder die UN (Unstats). Zu den kommerziell zugänglichen Quellen zählen neben professionellen Daten-Händlern (z.B. Freedonia) auch Suchmaschinen (z.B. Google). Die meisten dieser Quellen bieten inzwischen elektronische Schnittstellen an, über welche die Informationen direkt in das Ticket-Tool übertragen und die Suchergebnisse unmittelbar in das gerade geöffnete Ticket eingespeist werden können.
Die Suchergebnisse zu potentiellen Lieferanten werden vor der Anzeige noch mit den firmeninternen Daten der Qualitätskontrolle abgeglichen. Im Rahmen dieses Abgleiches wird die Information hinzugefügt, welche Lieferanten bereits qualifiziert, welche bekannt, aber nicht qualifiziert sind, sowie welche Lieferanten bisher unbekannt waren und daher noch nicht qualifiziert sind.
Falls ein Lieferantenwechsel eine Option für den strategischen Einkäufer darstellt, aber der Lieferant noch nicht qualifiziert ist, kann auch die Lieferantenqualifikation in kürzester Zeit über das Ticket gesteuert werden. Der Audit erfolgt elektronisch. Durch einen Knopfdruck wird an den Lieferanten eine von der Qualitätssicherung vorgegebene Checkliste gesendet. Die Checkliste gibt dem Lieferanten eine Übersicht, welche Dokumente (z.B. Zertifikate), in welchem Format benötigt werden. Sobald der Lieferant die erforderlichen Dokumente zurückschickt, werden diese an das Ticket angehängt und es wird an den zuständigen Kollegen in der Qualitätskontrolle weitergeleitet. Anhand der definierten Checkliste kann dort der Lieferant überprüft werden. Durch weitere digitale Vernetzungen wie Videokonferenzen zwischen Qualitätskontrolle und Lieferant können Audits ohne einen aufwendigen Lieferantenbesuch vor Ort durchgeführt werden. Sobald die Lieferantenfreigabe durch die Qualitätskontrolle erfolgt ist, erscheint der Lieferant als qualifiziert im Ticket des strategischen Einkäufers und kann nun als potentieller Lieferant in Betracht gezogen werden.
Der strategische Einkäufer kann nun entscheiden, ob er dem aktuellen Lieferanten mit den Ergebnissen aus diesem Schritt konfrontiert, um Konditionszugeständnisse zu erzielen, oder ob er eine neue Ausschreibung startet. Durch die systematische und automatisierte Einkaufsmarktforschung können schnell alternative Lieferanten gefunden werden. Damit wird die eigene Verhandlungsposition gegenüber bestehenden Lieferanten deutlich erhöht.
Schritt 3: Definition Einkaufsstrategie – Automatische Beurteilung der besten Optionen
Sollten während des zweiten Schritte noch keine besseren Konditionen mit den bestehenden Lieferanten erzielt werden können, wird im nächsten Schritt die Einkaufsstrategie festgelegt, um Einsparung in der Warengruppe zu erzielen. Zur Ableitung der Einkaufsstrategie sind im Ticket bereits alle benötigten Informationen, z.B. Artikel-Spezifikationen, historische Mengen, prognostizierte Mengen, Lieferanten sowie deren Konditionen und aktuelle Mengengerüste, vorhanden.
Der strategische Einkäufer entscheidet, welche Artikel er einzeln oder gebündelt ausschreiben möchte. Im digital integrierten strategischen Einkaufsprozess können hierfür bestimmte Parameter zur Entscheidungsfindung eingestellt werden. Über die Parameter kann der strategische Einkäufer automatisch steuern, wie viele Lieferanten, welche Mindestvolumina pro Lieferant etc. berücksichtigt werden müssen. Im Ticket werden etwa Volumenbündelungs-Szenarien direkt mit aktuellen Rahmenverträgen aus dem IT-System abgeglichen und bewertet. Das Tool spielt verschiedene Szenarien durch und zeigt dem strategischen Einkäufer die möglichen weiteren Schritte auf. So erstellt das System beispielsweise Artikelpakete, die fix an bestehende Lieferanten vergeben werden können und selektiert darüber hinaus Artikel, die anhand der definierten Parameter im Rahmen einer breiten Ausschreibung vergeben werden sollten.
Der strategische Einkäufer kann die vom System vorgeschlagene Einkaufsstrategie natürlich weiter verfeinern, indem er z.B. die gesetzten Parameter anpasst. Nach Überprüfung der Einkaufsstrategie gibt der strategische Einkäufer das Ticket frei.
Schritt 4: Lieferantenanalyse und -auswahl – Automatisierte Lieferantenverhandlung um den besten Preis
Sobald die Einkaufsstrategie freigegeben ist, beginnt die Lieferantenauswahl. Auch für diesen Schritt sind bereits alle benötigten Information im Ticket vorhanden. Die Spezifikationen des Produktes liegen in optimaler Qualität vor, die benötigten Mengen sind definiert, und durch die Marktanalyse und die anschließende Lieferantenqualifizierung sind alle potentiellen Lieferanten identifiziert. Die im dritten Schritt abgeleitete Einkaufsstrategie kann nun umgesetzt werden.
Im Fall einer Ausschreibung werden die Spezifikationen, Mengen und Lieferbedingungen direkt aus dem Ticket zeitgleich an alle Lieferanten übermittelt. Die eingehenden Angebote werden ebenfalls in Echtzeit dem strategischen Einkäufer im Ticket angezeigt. Der strategische Einkäufer kann sofort die zugesicherten Preise einsehen. Die Darstellung der Angebotspreise im Ticket enthält zur optimalen Übersicht der abgegebenen Preise bereits erste Auswertungen zu Durchschnittspreisen, Preisstreuung etc.. Der strategische Einkäufer kann im Ticket allen Lieferanten, deren Stückpreise über den aktuellen Durchschnittspreisen liegen, automatisch per Knopfdruck ihre Position je Artikel, Dienstleistungsposition oder Paket im Vergleich zum Mittelwert und dem besten Preis (bzw. ein vom Einkäufer angestrebten Preis) übermitteln und auf der Grundlage ein verbessertes Angebot anfragen.
Die zweiten Angebote werden zusammen mit den initialen Angeboten, die bereits unterhalb des alten Mittelwertes lagen, in einen neuen „Topf geworfen“. Es werden ein neuer Mittelwert und der geringste Preis (bzw. ein vom Einkäufer angestrebter Preis) errechnet. Für die Angebote, die sich immer noch oder wieder über den Mittelwert befinden, wiederholt sich der Ablauf und es wird ein weiteres verbessertes Angebot durch das System angefragt.
Dieses Prinzip kann der strategische Einkäufer so lange wiederholen, bis sich die Preise nicht mehr weiter verbessern. Erfahrungsgemäß werden in den ersten beiden Runden die größten Preisverbesserungen erzielt werden. Je öfter diese eAuktion gemacht wird, desto näher kommt der strategische Einkäufer zu den bestmöglichen Einkaufspreisen. Wenn sich in den Preisen nicht mehr viel von einer auf die andere Runde ändert, kann er sich sicher sein, dass jeder Lieferant den gerade noch akzeptablen Preis aufgerufen hat. Der strategische Einkäufer kann nun mittels Knopfdruck den Lieferanten seiner Wahl auswählen. Die Lieferantenauswahl muss natürlich nicht ausschließlich nach dem günstigsten Preis ausfallen. Sollte bspw. ein bestehender Lieferant durch die Auktion seine Preise erheblich verbessert haben, aber Wechselkosten etc. anfallen, wird ein Wechsel nicht verfolgt. Durch einen Knopfdruck im Ticket wird dem Lieferanten eine Nachricht geschickt, dass das Angebot angenommen und der Vertrag erarbeitet wird.
Schritt 5: Implementierung – Schnelle Absprachen für schnellen und einfachen Vertragsabschluss
Die Implementierung im fünften Schritt muss in zwei Bereiche unterteilt werden. Zum einen in die operative und zu anderen in die juristische Implementierung.
Bevor ein Vertrag mit einem neuen Lieferanten endgültig abgeschlossen werden kann, müssen operative Rahmenbedingungen wie beispielsweise die letzte Lieferung des alten Lieferanten oder Testings der Artikel des neuen Lieferanten durch die einzelnen Fachabteilungen wie Qualitätskontrolle, Produktion oder Logistik bestätigt werden.
Das Ticket mit den vereinbarten Spezifikations-, Konditions- und Lieferantendaten aus dem strategischen Einkaufsprozess durchläuft entsprechend eine Fachabteilung nach der anderen. Die verantwortlichen Mitarbeiter geben im Ticket an, ab wann (unter Berücksichtigung der Kündigungsfrist des aktuellen Lieferanten) das Produkt des neuen Lieferanten verwendet werden kann. Es wird durch jede betroffene Fachabteilung per Knopfdruck bestätigt, dass zu diesem Zeitpunkt alle eventuell noch nötigen Vorbereitun-gen (z.B. Maschinenumrüstungen) getroffen sein werden, so dass das Produkt reibungslos in den Prozess einfließen kann.
Sobald die Bestätigung im System vorliegt, geht das Ticket weiter zur Rechtsabteilung. Hier wird anhand der Daten im Ticket (Lieferant, Zahlungsbedingung, Lieferbedingungen, Artikel, Menge, Preis, etc.) automatisch ein Standard-Vertrag ausgefüllt. Dieser kann durch eine elektronische Signatur (z.B. Personalausweis) freigeben und dem Lieferanten zugesendet werden.
Sobald dieser Vertrag vom neuen Lieferanten bestätigt wurde, wird dies im Ticket vermerkt und der Vertrag des aktuellen Lieferanten wird automatisch gekündigt.
An diesem Punkt endet der strategische Einkaufsprozess. Sobald der neue Lieferant anfängt zu liefern und damit Bewegungsdaten im System erzeugt werden, beginnt die nächste Runde des strategischen Einkaufsprozesses, „und das Karussell dreht sich von Neuem“.
Ausblick: Vom linearen zum simultanen Sourcing-Prozess
Die dargestellten Möglichkeiten entlang des strategischen Einkaufsprozesses verdeutlichen, dass die integrierte Digitalisierung schon heute viel mehr als nur ein populäres Schlagwort ist, das irgendwann in der Zukunft für den Einkauf relevant wird. Durch das Aufbrechen traditioneller Grenzen im Unternehmen können strategische Einkaufsaktivitäten digital mit Lieferanten, involvierten Fachbereichen und Einkaufskollegen vernetzt, automatisiert und übergreifend gesteuert werden.
In Zukunft ist es sogar sehr gut vorstellbar, dass der aktuell lineare strategische Einkaufsprozess vollständig aufgelöst wird. Stattdessen könnten in einem großen Rechenzentrum die internen Daten mit den Daten der Märkte ständig in Echtzeit simultan verglichen werden.