Schneller liefern und dabei Kosten senken
Kurze Lieferzeiten bedeuten für Kunden kleinere Lagerbestände und damit auch niedrigere Kosten. Neugewonnene Lagerkapazitäten und finanzielle Mittel kann der Kunde dann anderweitig einsetzen. Aufgrund der hochkomplexen Produkte ist eine schnelle und auf den Kundenwunsch zugeschnittene Lieferung besonders für auftragsbezogen produzierende Unternehmen eine Herausforderung. Zudem tun sich im Rahmen der Digitalisierung immer mehr Möglichkeiten auf, Prozesse zu automatisieren und Reaktionszeiten zu verbessern – den Überblick zu behalten ist schwierig. Deshalb stellen wir in diesem Artikel einen bewährten Hebel vor, mit dem Unternehmen die Durchlaufzeiten von Bestellung bis Auslieferung verkürzen können: die Verbesserung der Materialverfügbarkeit. Am Beispiel eines Variantenfertigers zeigt der Beitrag, wie Sie eine breite Palette an Materialien direkt nach Auftragseingang verfügbar machen und gleichzeitig Kosten reduzieren.
Ein Großteil der Variantenfertiger wickelt seine Kundengeschäfte über Rahmenverträge mit Gesamtauftragsmenge sowie geplanten Abruffrequenzen ab. Die meisten Kunden rufen vereinbarte Mengen jedoch selten wie geplant ab, oder vereinbaren von vornherein keine Abruffrequenzen und -mengen. Das stellt Variantenfertiger vor eine Grundsatzentscheidung: Kurze Lieferzeiten durch Lagerung, aber dadurch hohe Bestandskosten? Oder geringere Bestandskosten und Abruf der Artikel, aber längere Lieferzeiten?
Grundsätzlich gibt es zwei Hebel, um diesem Dilemma zu begegnen: (1) Die richtigen Artikel in der richtigen Menge auf Lager legen und (2) den Bestellprozess durch Automatisierung deutlich beschleunigen.
Für den ersten Hebel ist eine umfassende Analyse der Unternehmensdaten notwendig. Für den zweiten Hebel besteht die Herausforderung zum großen Teil darin, dass in vielen Einkaufsabteilungen teilweise heftiger Widerstand gegen die Implementierung von automatisierten Prozessen geleistet wird. Häufig ist dieser der Angst vor Arbeitsplatzverlust geschuldet. Vorwiegend geht es jedoch darum, freie Kapazitäten für strategische Aufgaben zu schaffen.
Zur Anwendung beider Hebel eignet sich ein vierstufiger Prozess (Abb. 1). Dabei sollten die Mitarbeiter des Einkaufs von Anfang an umfassend einbezogen werden.
Abb. 2 illustriert einen möglichen Verlauf des Lagerbestands eines Einkaufsartikels nach einer Optimierung. Der umgesetzte Algorithmus stellt automatisch sicher, dass am Anfang des Rahmenvertrages der Lagerbestand durch die Einrichtung des Sicherheits- und Meldebestands aufgebaut wird. Dieser wird dynamisch in Abhängigkeit der Lieferantenlieferzeit und der verbleibenden Rahmenvertragsmenge berechnet. Bei Unterschreitung des Meldebestands wird automatisch eine Bestellung ausgelöst. Über die dynamische Anpassung der Bestellmenge wird eine nahezu hundertprozentige Materialverfügbarkeit sichergestellt. Zudem werden unnötige Lagerbestände am Ende des Rahmenvertrages vermieden. Der Algorithmus könnte auch während der Vertragslaufzeit per Knopfdruck angepasst werden.
1. Schritt: Aufnahme der Ist-Situation
Im ersten Schritt werden die benötigten Daten für die Optimierung im Detail erhoben und analysiert.
Als Grundlage werden Einkaufs-, Verkaufs-, Rahmenvertrags- und Lagerdaten sowie Stücklisten benötigt, um eine transparente Faktenbasis zu schaffen. Damit werden vorrangig zwei Ziele verfolgt: Zum einen sollen die Prozesse quantitativ analysiert und zum anderen soll ein Verständnis für Bestellprozess und -praxis aufgebaut werden. Eine detaillierte Analyse ist wichtig, um nach der Optimierung den Verbesserungseffekt genau messen und beibehalten zu können:
- Die Einkaufsdaten erlauben Rückschlüsse auf Lieferzeiten je Artikel, die entscheidend für die Ermittlung der optimalen Lagerbestände sind.
- Über Verkaufsdaten und Stücklisten kann die Bedarfsmenge an Einkaufsartikeln für jeden Auftrag berechnet werden. Auch erlaubt eine Analyse der Verkaufsdaten eine Priorisierung der Verkaufsartikel.
- Daten zu Rahmenverträgen mit Kunden sind wesentlich für die Analyse der Ist-Situation. Rahmenvertragsmengen, durchschnittliche Abrufmenge und voraussichtliche Abruffrequenz sind genau zu beachten, um Unregelmäßigkeiten im Bestellverhalten oder Bedarfsspitzen herausfiltern zu können.
- Lagerbestandsdaten werden zum einen benötigt, um festzustellen, ob das „richtige“ Lagermaterial zur Sicherstellung einer hohen Verfügbarkeit ausreichend vorhanden ist und zum anderen, um zu prüfen, ob obsoleter Bestand beseitigt werden kann.
Abschließend ist eine Messlatte („Baseline“) zur Messung der Verbesserungen zu definieren.
2. Schritt: Optimierung der Materialverfügbarkeit
Nach der Aufnahme der Ist-Situation wird in Schritt Zwei die Materialverfügbarkeit durch Auswahl der Lagerartikel und Berechnung zugehöriger Sicherheits- und Meldebestände sowie Bestellmengen und -frequenzen optimiert. Das Ziel ist, eine nahezu hundertprozentige Materialverfügbarkeit zum Zeitpunkt des Auftragseingangs. Für eine dynamische Berechnung wird ein Algorithmus konzipiert, der alle hierfür notwendigen Informationen berücksichtigt. .
Zunächst wird vom Algorithmus festgelegt, welche Materialien im Lager vorrätig sein sollen. Das sind insbesondere Teile, für die ein Rahmenvertrag vorliegt. Anschließend werden ein Sicherheits- und ein Meldebestand für jedes dieser Materialien eingerichtet. Falls historische Informationen über das Bestellverhalten des Kunden vorliegen, können diese zusätzlich bei der Ermittlung der Variablen durch den Algorithmus verarbeitet werden. Zum Beispiel kann bei einem Einkaufsartikel der Sicherheitsbestand die dreifache durchschnittliche Abrufmenge des Kunden betragen, so ist auch bei unerwartet hohen Bestellmengen Materialverfügbarkeit gewährleistet. Sobald der disponible Lagerbestand den Meldebestand unterschreitet, wird automatisch im ERP-System eine Bestellanforderung (BANF) ausgelöst. Es ist wichtig, den Rhythmus für die BANF so einzustellen, dass beim Auslaufen des Rahmenvertrages die Bestände der Einkaufsartikel vollständig abgebaut sind. So wird überflüssiger Lagerbestand vermieden (siehe Abb. 2).
Abb. 2 illustriert einen möglichen Verlauf des Lagerbestands eines Einkaufsartikels nach einer Optimierung. Der umgesetzte Algorithmus stellt automatisch sicher, dass am Anfang des Rahmenvertrages der Lagerbestand durch die Einrichtung des Sicherheits- und Meldebestands aufgebaut wird. Dieser wird dynamisch in Abhängigkeit der Lieferantenlieferzeit und der verbleibenden Rahmenvertragsmenge berechnet. Bei Unterschreitung des Meldebestands wird automatisch eine Bestellung ausgelöst. Über die dynamische Anpassung der Bestellmenge wird eine nahezu hundertprozentige Materialverfügbarkeit sichergestellt. Zudem werden unnötige Lagerbestände am Ende des Rahmenvertrages vermieden. Der Algorithmus könnte auch während der Vertragslaufzeit per Knopfdruck angepasst werden.
Abschließend werden die Lagerkapazitäten betrachtet. Falls nicht genug Lagerplatz zur Verfügung steht, werden automatisch die zu lagernden Artikel priorisiert und ggf. Maximalbestände definiert. Eine Deckungsbeitragsanalyse der Endprodukte könnte hierfür verwendet und in den Algorithmus eingebaut werden. Auf diese Weise kann die Materialverfügbarkeit bei vielen Variantenfertigern bei gleichzeitiger Reduzierung des durchschnittlichen Lagerbestands signifikant erhöht werden.
3. Schritt: Optimierung des Bestellprozesses
In Schritt Drei dient ebenfalls die „Aufnahme der Ist-Situation“ als Basis für eine umfassende Analyse. Verbesserungsmöglichkeiten können mithilfe eines Ist-Soll-Vergleichs für jeden einzelnen Schritt des Prozesses identifiziert werden (vgl. Abb. 3). Im Fokus stehen dabei Fragestellungen, die helfen, Aufwandstreiber zu lokalisieren, z.B.: Wo entstehen Doppelarbeiten? Es sollte zudem explizit auf den Automatisierungsgrad geachtet werden. Eine Optimierung könnte folgendermaßen ablaufen: Anstatt der Einführung des Vier-Augen-Prinzips bei Bestellungen werden diese durch das ERP-System automatisch ausgelöst, solange der Bedarf durch einen Rahmenvertrag mit einem Kunden abgedeckt ist. Hier ist es sinnvoll, eine Wertgrenze für automatische Bestellungen einzuführen, damit teure Systemfehler vermieden und Governance-Vorgaben eingehalten werden.
4. Schritt: Implementierung
Im letzten Schritt soll das Konzept im ERP-System implementiert werden. Neben technischen Ansprüchen ist die Etablierung eines Umsetzungscontrollings von besonderer Bedeutung. Dabei sollten u.a. folgende Fragen beantwortet werden: Werden die Aktivitäten wie geplant durchgeführt? Bei welchem Schritt sind Engpässe zu erwarten? Durch Beantwortung dieser Fragen ist sichergestellt, dass der Umsetzungsplan eingehalten wird.
5. Fazit
Unternehmen, die auftragsbezogen produzieren und bei denen ein Großteil des Geschäfts über Rahmenverträge abläuft, haben eine besondere Situation innerhalb der Supply Chain. Zwar sind Gesamtauftragsmengen und -zeiträume vereinbart, Abruffrequenz und -mengen können aber stark variieren. Das macht eine Implementierung von Bestandsoptimierungslösungen nach Lehrbuch schwierig. Solche Unternehmen brauchen stattdessen maßgeschneiderte Bestandsoptimierungslösungen, damit sie Kundenanforderungen (wie etwa schnelle Reaktionszeiten) bedienen können.