Aus der Einkaufspraxis: Wann haben Sie zuletzt Ihren Lieferanten besucht?
Wer Kosten senken will, muss sich auskennen. Zum Beispiel in der Produktion seines Lieferanten. Haben Sie Ihre Lieferanten schon einmal vor Ort besucht und dort die Wertschöpfungsprozesse en detail vor Ort betrachtet?
10 Tipps für erkenntnisbringende Werksbesuche
Nur wenige Einkäufer können uns bestätigen, dass die Leistungen ihrer Lieferanten in regelmäßigen Abständen vor Ort überprüft werden. Wenn Sie als Einkäufer aber nicht wissen, wie die Produktion Ihres Lieferanten von statten geht, dann bleiben Ihnen unter Umständen signifikante Kostensenkungspotentiale verborgen. Statten Sie Ihrem Lieferanten also einen Besuch ab. Beim Besuch der Produktionsstätten werden Sie schnell herausfinden, bei welchen Prozessen die Produktion hakt und welche Prozesse verbessert werden können. Als findiger Beobachter und verständiger Interviewer werden Sie von einem lehrreichen Werksbesuch mit Einsparideen im Gepäck zurückkehren. Wir haben Tipps und Erfahrungen aus der Praxis für Sie zusammengestellt:
Tipp 1: Lesen Sie die „schwarzen Bretter“
Ein Gutteil der Unternehmenskommunikation findet in Fabriken auch heute noch auf schwarzen Brettern statt. Dort entdeckt man nicht selten Statistiken zur Produktivität, zur Kostenentwicklung und zu vielen anderen interessanten Themen. Nehmen Sie sich Zeit nach interessanten Informationen Ausschau zu halten, während Sie das Firmengelände besuchen. Es zahlt sich aus: Ein Hersteller von Soft-Drinks vermied es, die Kostenstruktur der Zutaten seines Produktes offen zu legen. Bei der Fabrikbesichtigung fand sich eine Notiz am schwarzen Brett, die den Arbeitern die Konsequenzen der Verschwendung einzelner Komponenten des Soft-Drinks aufzeigte. Da dort die Kosten der Einzelkomponenten benannt waren, wurde offensichtlich, dass der Lieferant einen überhöhten Preis für Sirup an seinen Auftraggeber weitergab. Der Preis wurde im Nachgang angepasst.
Tipp 2: Nehmen Sie Kollegen zur Besichtigung mit
Binden Sie bei Ihren Werksbesuchen die Expertise der anderen Funktionsbereiche ein. Insbesondere Ihre Kollegen aus den technischen Disziplinen wie z.B. Produktion, Logistik, Instandhaltung und Qualitätssicherung haben oft ein geschultes Auge für Schwachstellen und Risiken in Fertigungsabläufen. Vor einem Werksbesuch sollten Sie sich gemeinsam mit ihren Kollegen Fragen überlegen und sich während der Besichtigung unabhängig voneinander mit unterschiedlichen Mitarbeitern unterhalten. Vergleichen Sie im Anschluss die Antworten, die Sie erhalten haben. Beim Besuch eines Herstellers von Fertiggerichten haben Mitarbeiter unterschiedliche Aussagen zur Beschaffenheit der verwendeten Zutaten gemacht. Manche Mitarbeiter sagten aus, dass der verarbeitete Broccoli frisch eingekauft sei, andere, dass er zu bestimmten Jahreszeiten tiefgekühlt angekauft würde. Da Marktforschungsberichte zeigten, dass Konsumenten den Unterschied nicht schmecken, konnte die Produktion auf die Verwendung des günstigeren Tiefkühl-Broccoli umgestellt werden. Die Umstellung führte zu beachtlichen Kosteneinsparungen.
Tipp 3: Sprechen Sie mit dem Produktionsleiter
Es ist wichtig nicht ausschließlich mit dem Kundenbetreuer zu sprechen, da er eigens dazu ausgebildet ist, Gespräche diplomatisch zu lenken und schwierige Themen erfolgreich zu umschiffen. Der Produktionsleiter ist in vielen Fällen der richtige Ansprechpartner, um Ihnen ungeschönt Auskunft über die Sachlage und mögliche Probleme in der Produktion zu geben.
Tipp 4: Befragen Sie die Arbeiterschaft
Häufig können die Arbeiter am Band am besten erklären, welche Schwierigkeiten es im Produktionsablauf gibt. Eine Frage, die immer zum Gespräch motiviert, lautet: „Es gibt hier wie überall sicherlich das eine oder andere Problem. Was würden Sie ändern, wenn Sie es sich aussuchen könnten?“ Bei der Besichtigung einer Kaffeefabrik stellte sich bei mehrmaliger Befragung der Hilfsarbeiter heraus, dass die Umstellung einer Maschine auf eine neu eingeführte Gefäßform nicht reibungslos verlief. Die Marktforschung stellte überraschenderweise fest, dass Kunden der neuen Gefäßform gar nicht den Vorzug gaben. Mit dem folgerichtigen Relaunch der alten Gefäßform konnten die Umstellungsprobleme vermieden und erhebliche Prozesskosteneinsparungen erzielt werden.
Tipp 5: Besuchen Sie den Rohstoffeingang
Da Ihr Lieferant bei Ihrem Besuch verständlicherweise einen möglichst guten Eindruck hinterlassen möchte, wird er vor der Besichtigung vor allem die Bereiche seiner Fabrik „auf Vordermann“ bringen, die üblicherweise besichtigt werden, zum Beispiel die Endfertigung. Schauen Sie sich gerade dann auch den Wareneingang an. Gerade die unvorbereitete Besichtigung bietet Ihnen die Möglichkeit wichtige Erkenntnisse zu gewinnen. Wie sieht die Lagerhaltung der Rohstoffe aus? Stapelt Ihr Lieferant große Menge an Rohstoffen, die möglicherweise bald das Haltbarkeitsdatum erreichen oder hat er Fehlbestände und es ist mit Lieferengpässen zu rechnen? Schwierigkeiten dieser Art können durch eine aufmerksame Besichtigung des Rohstoffeingangs rechtzeitig antizipiert werden.
Tipp 6: Besichtigen Sie die hintersten Ecken der Fabrik
Scheuen Sie keine langen Fußwege bei der Inspektion der Fabrik, denn gerade darauf setzt der Lieferant. Häufig lassen sich in den hintersten Ecken der Gebäude stillgelegte Anlagen oder ungenutzte Ausschussware finden. Bei einem Kleidungslieferanten hat einer unserer Kunden überschüssiges Packmaterial gefunden, das für die Verkaufsförderungsaktion eines anderen Kunden vorgesehen war. Da dieser Kunde vor Durchführung des Auftrages insolvent wurde, kam die Aktion nie zustande. Unser Kunde kaufte das tadellose Packmaterial zu guten Konditionen für eine Neuprodukteinführung auf. Auch der Lieferant profitierte von dieser Lösung.
Tipp 7: Stellen Sie offene Fragen
Um möglichst viele Informationen zu gewinnen, müssen Sie offene Fragen stellen. Meiden Sie allzu konkretes Nachfragen zu Beginn der Unterhaltung, und leiten Sie Ihre Fragen mit „wer“, „was“, „wie“, „warum“ oder „wo“ ein. Offene Fragen sind neutral und lenken die Antwort nicht in eine festgelegte Richtung. „Was passiert hier?“ motiviert mehr zur Antwort als „Hier mischen Sie also die Zutaten, richtig?“. Fragen Sie bei sich angedeuteten Problemen immer nach, warum etwas nicht besser funktioniert, um Optimierungspotentiale zu identifizieren. Gerade bei Lieferanten, die nicht besonders auskunftsfreudig sind, können offene Fragen der Schlüssel zum Erfolg sein.
Tipp 8: Legen Sie Ihren Besuch auf einen Freitagmittag
Die Auslastung eines Werkes ist ein wesentlicher Parameter bei der Preisgestaltung Ihres Lieferanten. Vollständig ausgelastete Werke sind in der Lage, bei ihren Kunden einen Wettbewerb um die Kapazitäten entstehen zu lassen, was natürlich stark preistreibend wirkt. Bei Unterauslastung hingegen sind viele Werke bereit, Aufträge auch zwischen Voll- und Teilkosten anzunehmen, um zumindest noch eine gewisse Fixkostendeckung zu erzielen. Kritisch ist es für Sie als Kunden daher zu erkennen, wie die Auslastungssituation des Lieferanten ist, um ihre Verhandlungsposition abschätzen zu können. Dieses kann man häufig gut an Freitagen rund um die Mittagszeit erkennen, da bei Unterauslastung für die Produktionsmitarbeiter das Wochenende früher beginnt.
Tipp 9: Ermitteln Sie einfache Kennzahlen
Der Leistungsstand eines Werkes lässt sich häufig anhand von wenigen, leicht zu ermittelnden Kennzahlen bestimmen. Gut geeignet sind hier beispielsweise der Krankenstand als Maßstab für die Motivation der Belegschaft, die Erstdurchläuferrate als Maßstab für die Qualität und der Gesamtbestand (inkl. Roh-, Halbfertig- und Fertigwaren) als Maßstab für Flexibilität und Agilität der Fabrik. Versuchen Sie, im Rahmen der Gespräche zu evaluieren, wo ihr Lieferant bei diesen Indikatoren im Vergleich zum Wettbewerb steht.
Tipp 10: Achten Sie auf Ordnung und Saubarkeit
Ordnung und Sauberkeit sind vermeintlich alte deutsche Tugenden, aber sie sind vor allem Charakteristika von leistungsstarken und qualitätsorientierten Fabriken. Natürlich kann man eine Stahlproduktion von Sauberkeitsgrad her nicht mit einer Leiterplattenbestückung vergleichen, aber schon im Vergleich innerhalb einer Branche zeigen sich signifikante Unterschiede. Verbinden Sie Ihre Analyse mit unserem Punkt 6 – gehen sie in die hintersten Ecken, z.B. in die Werkstätten der Instandhaltung oder in die Lagerbereiche der Langsamdreher. Oftmals führt dies zu ganz neuen Erkenntnissen.
Fazit
Um schlummernde Einsparmöglichkeiten zu entdecken, müssen Sie kein geübter Detektiv sein. Durch Anwendung unserer zehn einfachen Tipps unter Einsatz des gesunden Menschenverstandes sind Sie in der Lage, sogar bei Besichtigungen von Produktionsstätten, die Sie bereits kennen, relevante neue Informationen zu identifizieren, die es Ihnen dann erlauben, zusätzliche Einsparungen zu erzielen.