Der Weg zur smarten Einkaufsorganisation

Hindernisse bei der organisatorischen Umstrukturierung des Einkaufs können durch vier Varianten des Transformationsumfangs sowie einen systematischen Reorganisationsprozess überwunden werden. So lässt sich der Erfolg der smarten Einkaufsorganisation nachhaltig sicherstellen.

Die smarte Einkaufsorganisation ist ein schlüssiges Modell zur organisatorischen Strukturierung von Einkaufsabteilungen. Durch die spezialisierte Bearbeitung von homogenen Aufgabenpaketen entlang des strategischen Einkaufsprozesses ergeben sich zahlreiche Verbesserungen. Um diese Verbesserungen im Unternehmen zu etablieren, besteht die wesentliche Aufgabe darin, die smarte Einkaufsorganisation konkret auszugestalten und mit Augenmaß einzuführen. 

Mögliche Hürden bei der Umstrukturierung

Die Umstellung ganzer Organisationsstrukturen erweist sich erfahrungsgemäß als äußerst komplexe Aufgabe. Zahlreiche Komplikationen können die Transformation zur smarten Einkaufsorganisation erschweren (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Mögliche Hürden bei der Umstrukturierung

Abbildung 1: Mögliche Hürden bei der Umstrukturierung

Organisatorische Hürden

Zunächst sind dies organisatorische Hürden, die sich aus der Gestaltung von Entscheidungsprozessen ergeben. Werden Entscheidungen zentralistisch, d.h. unter Einbeziehung weniger Personen getroffen, so werden sich langfristige Erfolge bei der Umstrukturierung schwieriger erzielen lassen, als wenn Mitarbeiter schon traditionell aktiv in die Entscheidungsfindung eingebunden sind. Werden hingegen so viele Personen an Entscheidungen beteiligt, dass der Entscheidungsprozess komplex und zeitaufwändig wird, ist dies ebenfalls keine gute Grundlage für Veränderungsbestrebungen.
Die Probleme im Zusammenhang mit Entscheidungsprozessen werden häufig durch Traditionen im Unternehmen hervorgerufen. Wenn die Hierarchie- und Entscheidungsstrukturen größtenteils historisch gewachsen sind, lassen sie sich nur schwer aufbrechen. Veränderungen sind in jungen, innovativen Branchen mit flachen Hierarchien, wie der IT-Industrie, leichter durchsetzen als in der alteingesessenen Stahlindustrie. 
Auch die Größe der Organisation kann ein Hindernis sein, da Veränderungen mit der Anzahl der betroffenen Mitarbeiter komplexer werden. Zusätzlich können ausgeprägte Egoismen einzelner Abteilungen oder Warengruppenverantwortlicher („Silo-Denken“) den Transformationsprozess be- oder verhindern, da die für die erfolgreiche Veränderung notwendige Kooperation der Abteilungen ausbleibt.

Personelle Hürden

Neben organisatorischen können sich auch personelle Hürden auftun. So kann sich die Transformation wegen fehlenden Know-hows und stark eingeschränkter Weiterentwicklungsmöglichkeiten der Belegschaft bezogen auf die Aufgaben der smarten Einkaufsorganisation (Einkaufsdatenanalyse, Einkaufsmarktforschung, Methodenentwicklung, Assistenz, Projektmanagement) schwierig gestalten. Schließlich ist die Weiterentwicklung bestehender Mitarbeiter oder ggf. das Recruiting fähiger externer Fachkräfte mit Kosten verbunden, die gerne vermieden werden.
Eine eventuell auftretende Abwehrhaltung der von der Veränderung betroffenen Manager und Mitarbeiter ist eine Herausforderung, ob sie durch eine generell geringe Aufgeschlossenheit der Mitarbeiter gegenüber Veränderungen begründet ist oder durch die Altersstruktur der Belegschaft. Da Veränderung aus diesen Gründen als Risiko (z.B. Arbeitsplatz-/Machtverlust) und nicht als Chance (z.B. verbesserte Arbeitsabläufe und Profitabilität) begriffen wird und die Mitarbeiter eine Transformation hin zur smarten Einkaufsorganisation auch deshalb ablehnen können, weil sie befürchten, dass ihre Arbeitsmotivation unter stark beschnittenen Aufgaben leidet.

Alternativer Transformationsumfang als Lösungsansatz

Aufgrund der beschriebenen Herausforderungen stellt sich die Frage, wie der Einkauf dennoch nach dem Modell der smarten Einkaufsorganisation reorganisiert werden kann. Die Lösung besteht in alternativen Varianten des Transformationsumfangs. Darunter ist die Ausprägungsform der smarten Einkaufsorganisation hinsichtlich der Anzahl spezialisiert bearbeiteter Aufgabenpakete und der Anzahl umstrukturierter Einkaufsbereiche  bzw. Warengruppen zu verstehen. 
Es lassen sich vier grundlegende Varianten des Transformationsumfangs unterscheiden, die ihrerseits ebenfalls variiert werden können (vgl. Abbildung 2):

  1. „Minimal“: Hier wird die kleinstmögliche Änderung realisiert, indem zunächst nur ein Aufgabenpaket der smarten Einkaufsorganisation (z.B. Datenanalyse) umgesetzt wird, und man sich hierbei nur auf eine/n Einkaufsbereich bzw. Warengruppe beschränkt.
  2. „Aufgabenpaket“: Hier wird analog zu Variante „Minimal“ ebenfalls nur ein Aufgabenpaket umgesetzt. Dies erfolgt jedoch für mehrere oder sogar alle Einkaufsbereiche oder Warengruppen.
  3. „Bereich“: Bei dieser Variante wird zunächst nur ein Einkaufsbereich oder eine Warengruppe reorganisiert. Die Umstrukturierung erfolgt jedoch komplett nach dem Modell der smarten Einkaufsorganisation.
  4. „Umfassend“: Der größte Transformationsumfang wird durch diese Variante erreicht, bei der ein Großteil oder sogar alle Bereiche und Warengruppen gemäß der smarten Einkaufsorganisation reorganisiert werden.
Abbildung 2: Alternative Varianten des Transformationsumfangs

Auf Basis dieser Varianten lässt sich der Einkauf schrittweise weiter entwickeln bis hin zur umfassenden Etablierung der smarten Einkaufsorganisation: Als Einstieg kann z.B. die Variante „Minimal“ gewählt werden. Nach erfolgreicher Einführung können anschließend die Varianten „Aufgabenpaket“ und/oder „Bereich“ angegangen werden. Sofern sich die angezielten Verbesserungen einstellen, kann mit der Implementierung der Variante „Umfassend“ begonnen werden. Selbstverständlich kann jede der Varianten bei Bedarf auch ohne Vorstufe direkt umgesetzt wer-den. Die Anwendung dieser Methodik hat zahlreiche Vorteile: 

  • Individualisiertes Vorgehen: Es wird ein auf die Unternehmenssituation ab-gestimmtes Vorgehen ermöglicht und so den Mitarbeitern keine Transformation „mit der Brechstange“ abverlangt. Da die smarte Einkaufsorganisation kein Patentrezept für jegliche Unternehmensformen darstellt, kann ihr Leistungspotential nicht pauschal in jeder Organisation ausgeschöpft werden. Abhängig von der Ist-Situation im Unternehmen kann daher die optimale Transformationsvariante für den Einstieg gewählt werden.
  • Reduziertes Investitionsrisiko: Der Nutzen der Einführung der smarten Einkaufsorganisation muss den Aufwand übersteigen. So dürfen bspw. die Personalkosten nicht ansteigen. Der potentielle Nutzen kann jedoch zunächst nur grob abgeschätzt werden, da Potentiale für Qualitätsverbesserungen und Zeitersparnis vorab nur schwer quantifizierbar sind. Durch die schritt-weise Vorgehensweise lässt sich das Investitionsrisiko jedenfalls minimieren, da sich mögliche negative Auswirkungen auf den reorganisierten Bereich beschränken.
  • Aufbau von Know-how: Durch das schrittweise Durchlaufen der Varianten lässt sich nach und nach Erfahrung mit der smarten Einkaufsorganisation sammeln. Peu à peu kann Expertenwissen aufgebaut, können neue Verhaltensweisen verinnerlicht und kann aus Fehlern gelernt werden. Das erworbene Know-how lässt sich anschließend auf die nächst höhere Transformationsvariante übertragen.
  • Abmildern der Komplikationen: Die oben beschriebenen möglichen Hürden bei der Umstrukturierung lassen sich abmildern. So wachsen oft Akzeptanz und Motivation für den Umbau zur smarten Einkaufsorganisation, wenn die damit verbundenen Erfolge sichtbar und Vorteile erkennbar werden. Ein nicht ausreichendes Know-how der Mitarbeiter lässt sich durch den gerade thematisierten sukzessiven Aufbau von Expertise nach und nach auflösen. Schließlich können auch starre Organisationsstrukturen durch die schrittweise „bottom-up“-Transformation des Einkaufs über die Zeit aufgeweicht werden. 

Prozess zum Aufbau einer smarten Einkaufsorganisation

Unabhängig vom Transformationsumfang erfolgt der Aufbau der smarten Einkaufsorganisation in einem systematischen vierstufigen Restrukturierungsprozess (vgl. Abbildung 3). Im Mittelpunkt stehen dabei die Optimierung der Ablauf- und Aufbauorganisation des Einkaufs. Unter Ablauforganisation wird die Festlegung der Kernprozesse des Einkaufs verstanden. Dies sind der strategische Einkaufsprozess („strategic sourcing“), der operative Einkaufsprozess (Bestellprozess „order-to-pay“) und das Lieferantenmanagement. Die Aufbauorganisation legt die Struktur des Einkaufs in einem Organigramm fest. Zu ihrer Definition ist die Beantwortung der „8W’s“ der Einkaufsorganisation notwendig (vgl. Abbildung 4). Dadurch wird zunächst geklärt, welche Aufgaben in der neuen Organisationsform erledigt werden, welcher Zentralisierungsgrad vorherrschen soll und wie viele Ressourcen benötigt werden. 

Darüber hinaus ist klarzustellen, auf welcher Hierarchieebene die definierten Aufgaben und Ressourcen anzusiedeln und welche Weisungsbefugnisse damit verbunden sind. Auch die konkrete Personalentscheidung für jede Stelle ist zu treffen. Abschließend ist festzulegen, welche Formen der standortübergreifenden und cross-funktionalen Zusammenarbeit anzuwenden sind und wie die regelmäßige Überprüfung und Weiterentwicklung der Aufbauorganisation gestaltet und sichergestellt wird.

Abbildung 3: Prozess zum Aufbau einer smarten Einkaufsorganisation

Abbildung 3: Prozess zum Aufbau einer smarten EinkaufsorganisationAbbildung 4: „8W‘s“ zur Gestaltung der smarten Einkaufsaufbauorganisation

Abbildung 4: „8W‘s“ zur Gestaltung der smarten Einkaufsaufbauorganisation 

Bei der Reorganisation wird nach dem Prinzip „structure  follows  process“ (= Ablau-forganisation) verfahren. Das bedeutet, dass sich die Aufbauorganisation aus den Geschäftsprozessen ableitet. In diesem Fall wird der strategische Einkauf gemäß seiner homogenen Aufgabenpakete (s.o.) organisiert. Zu diesem Zweck müssen bestehende Prozesse aufgebrochen, gemäß der smarten Einkaufsorganisation op-timal neu definiert und in der Aufbauorganisation verankert werden.

Der vierstufige Restrukturierungsprozess (vgl. Abbildung 3) beginnt mit der Erfassung der Ist-Situation im Einkauf. 

  • Die Erfassung der Ist-Situation gilt für alle Aufgabenfelder die bestehenden Einkaufsprozesse, -strukturen und -volumina auf Basis der „7W’s“ des Einkaufs (Wer kauft Was von Wem in Welcher Menge zu Welchem Preis Wann über Welchen Prozess ein?). Darüber hinaus werden Strukturkosten (ins-besondere Personalkosten) quantifiziert und Vorgaben der Unternehmensstrategie einbezogen. Das Resultat ist eine aussagekräftige Faktenbasis für die Reorganisation des Einkaufs.
  • Im zweiten Prozessschritt erfolgt die Optimierung der Einkaufsprozesse. Hier-für müssen die Kernprozesse des strategischen und operativen Einkaufs sowie des Lieferantenmanagements definiert, abgestimmt und dokumentiert werden. Zuzüglich wird ein Implementierungsplan für die optimale Ablaufor-ganisation entwickelt und abgestimmt.
  • Hierauf folgt nach dem Prinzip „Structure – follows – process“ (s.o.) die Opti-mierung der Aufbauorganisation. Zu diesem Zweck werden die zukünftigen Aufgabenbereiche entsprechend der smarten Einkaufsorganisation auf Ba-sis der Kernprozesse definiert. Anschließend erfolgt die Identifizierung und Auswahl der organisatorischen Gestaltungsoptionen der Aufbauorganisati-on gemäß der „8W’s“ (vgl. Abbildung 4). Die so optimierte Aufbauorganisati-on muss daraufhin abgestimmt und danach ein entsprechender Umset-zungsplan entwickelt und beschlossen werden. 
  • Vollendet wird der Prozess durch die Implementierung der neuen Einkaufsorganisation. Im Mittelpunkt steht dabei die Kommunikation der neuen Prozesse und Strukturen der Ablauf- und Aufbauorganisation. Dies erfolgt im Rahmen von Workshops für jede Organisationseinheit, in denen die neuen Prozesse, Strukturen und Aufgaben erläutert werden. Darüber hinaus wer-den Mitarbeiter für ihre neuen Tätigkeiten trainiert, und bei Bedarf erfolgt externes Recruiting. 

Begleitet wird der gesamte Prozess der Reorganisation von einem umfassenden Change Management, das den langfristigen Erfolg der smarten Einkaufsorganisation sicherstellt. Der Grundgedanke ist, neben erhöhter Wirtschaftlichkeit auch Verhaltensänderungen der Mitarbeiter und einen Kulturwandel zu realisieren. Zu diesem Zweck müssen Mitarbeiter vom Nutzen der Veränderung überzeugt und neue Verhaltensweisen aufgrund persönlicher Motivation verinnerlicht werden. 

Dies lässt sich u.a. durch  Entwicklung einer nachvollziehbaren Argumentation für die Veränderung, koordiniertes Programmmanagement und  Einbindung der Organisation und des Managements in den Veränderungsprozess erreichen. Darüber hinaus ist eine transparente Kommunikation an alle Stakeholder essenziell für den Projekterfolg.

Fazit

Bei der Umstrukturierung zur smarten Einkaufsorganisation kann sich eine Reihe von organisatorischen und personellen Hürden auftun, die häufig in der Abwehrhaltung oder der unzureichenden Eignung von Organisation und Belegschaft manifest werden. Um diese Probleme abzumildern, sollten unterschiedliche Varianten des Transformationsumfangs in Betracht gezogen werden, die auch schrittweise durchlaufen werden können. Dabei werden sich die Varianten bezüglich der An-zahl der spezialisiert bearbeiteten Aufgabenpakete sowie der Anzahl der reorganisierten Einkaufsbereiche bzw. Warengruppen unterscheiden. Die gewählte Variante sollte in einem systematischen Prozess, der die sukzessive Optimierung von Ab-lauf- und Aufbauorganisation sowie kontinuierliche Change-Management-Aktivitäten umfasst, umgesetzt werden. So wird nachhaltiger Erfolg sichergestellt.