Industrialisierung im Einkauf – der Weg zu neuen Einsparpotenzialen

Mit Blick auf die technologischen, methodischen und prozessbezogenen Neuerungen im Einkauf der letzten 20 Jahre lässt sich eine starke Weiterentwicklung feststellen. Diese Weiterentwicklung ist geprägt von einigen wegweisenden Errungenschaften wie der Einführung des ‚eProcurements‘ oder des ‚strategic sourcing‘. 

Während ersteres zu einer enormen Effizienzsteigerung im Einkauf führte, hat „strategic sourcing“ die Entwicklung des Einkaufs vom „Bestellschreiber“ zum strategischen Partner eingeleitet.

Abbildung 1: Entwicklungen im Einkauf der vergangenen 20 Jahre

Im Gegensatz zu den technologischen, methodischen und prozessbezogenen Entwicklungen, hat sich im organisatorischen Bereich seit Einführung des Lead-Buyer Modells nicht viel verändert.

Die meisten Diskussionen zu organisatorischen Themen einer Einkaufsfunktion drehen sich weiterhin vor allem um die Frage nach dem optimalen Zentralisierungsgrad.  Hier den richtigen Weg einzuschlagen, verspricht den Anforderungen von Standardisierung und Volumenbündelung auf der einen und der Nähe zu Einkaufsmärkten und Kunden auf der der anderen Seite zukünftig gerecht zu werden.

Die Frage nach einem optimalen Zentralisierungsgrad führt automatisch auch zu der Frage, wie eine moderne Einkaufsorganisation gestaltet sein sollte.

Vor- und Nachteile verschiedener Organisationsmodelle im Einkauf

Der typische Entwicklungszyklus einer Einkaufsorganisation lässt sich vereinfacht in einem Vier-Phasen Modell aufzeigen (siehe Abbildung 2). In der ersten Phase erfolgt zunächst eine organisatorische Trennung nach Warengruppen. Diese organisatorische Trennung haben nahezu alle Unternehmen gemeinsam, die eine Vielzahl von Warengruppen beschaffen. Als nächster Schritt wird folgerichtig eine Trennung in strategische und operative Aufgaben vorgenommen.

Abbildung 2: Typischer Verlauf organisatorischer Lösungen bei wachsenden Einkaufsabteilungen

Bei größeren Unternehmen kommt noch eine organisatorische Unterteilung nach verschiedenen Sourcing-Regionen (z.B. Europa, Nordamerika, Asien) sowie gegebenenfalls nach internen Kunden und Lieferanten hinzu. Im letzten Schritt entscheiden sich große Konzerne für das Outsourcing einzelner Einkaufsaktivitäten oder Warengruppen an spezialisierte Dienstleiter, um ohne zu hohen Aufwand weitere Einsparungen oder Prozesskostenvorteile zu realisieren.

Bezogen auf die Einkaufsorganisation hat das Abwägen der Vor- und Nachteile der verschiedenen Modelle für die meisten produzierenden Unternehmen dazu geführt, die Vorteile der Volumen-bündelung und der Standardisierung soweit wie möglich auszureizen, um im Einkauf maximale Effektivität und Effizienz zu erreichen. Zentrale Organisationen oder Mischmodelle mit einem starken Zentraleinkauf (z.B. Shared Services) sind meistens die Folge. 

Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf die Arbeitsweise der verschiedenen strategischen Einkäufer innerhalb der Organisation, denen eine wichtige Rolle zukommt. Zum einen setzten Sie die strategischen Vorgaben gemäß übergeordneter Einkaufsziele und -strategien um und ‚durchlaufen‘ den strategischen Einkaufsprozess für die von Ihnen zu verantwortenden Warengruppen.

Zum anderen sind Sie für die Verbindung zum operativen Einkauf zuständig und geben den Rahmen vor, in dem der operative Einkauf agieren kann. Dies führt zu vielfältigen Anforderungen an die Person des strategischen Einkäufers. 

Vielen Einkäufern fällt es in der Praxis sehr schwer, diese heterogenen Aufgabenpakete zu handhaben, da sie meist einzelne Abschnitte des strategischen Einkaufsprozesses besser beherrschen als andere. Genau hier liegt die zentrale Schwachstelle vieler Einkaufsorganisationen. In der Praxis hat beispielsweise ein strategischer Einkäufer fundiertes Produktwissen, gleichzeitig fehlt ihm jedoch die Fähigkeit, auf Basis von Marktforschungsunterlagen wichtige Trends und neue Anbieter zu erkennen. Ein Anderer wiederrum hat ein ausgeprägtes Talent für Zahlen und kann entsprechend komplexe Auswertungen in kurzer Zeit durchführen. Über die Fähigkeit, geschickt Einkaufskonditionen zu verhandeln, verfügt er jedoch nicht. Praktische Beispiele für dieses Dilemma finden sich bei vielen Unternehmen. So hat z.B. ein strategischer Einkäufer für Werkzeuge eines Zulieferers der Automobilindustrie bei seiner Lieferantenauswahlentscheidung für wichtige, im Produktionsprozess benötige Werkzeuge, das größte Volumen über Jahre an denselben Lieferanten vergeben. Auf die Rückfrage, ob sich diese langjährige Partnerschaft auch in sehr guten Einkaufskonditionen widerspiegelt, konnte er keine Einschätzung abgegeben, da Vergleichspreise fehlten. Der Grund für diesen offensichtlichen „Anfängerfehler“ eines fehlenden Preisbenchmarks lag letztendlich daran, dass das eigene sehr fundierte Produktwissen dazu führte, bei dem Key-Account Manager des Lieferanten allein auf fundiertes Produktwissen zu achten. Dass andere Lieferanten bei gleicher Qualität der Werkzeuge einen deutlich besseren Preis anbieten konnten, wurde nicht berücksichtigt. Unmittelbare Konsequenz dieser Verschiedenheit der Talente und Blickwinkel ist die Tatsache, dass die meisten strategischen Einkäufer die von der Einkaufsorganisation geforderten (strategischen) Aufgaben nicht sämtlich und auch nicht immer auf dem gleich hohen Niveau erfüllen können.

Industrialisierung des Einkaufs

Auf Basis dieser Erkenntnis ist es zielführend, den strategischen Einkauf dahingehend zu verbessern, dass die Anforderungen der strategischen Einkäufer sich in homogeneren Stellenprofilen widerspiegeln. Dies ist der Kern der ‚smarten Einkaufsorganisation‘. Zur Einführung einer solchen Organisation werden homogene, prozessstufen- und warengruppenübergreifende Aufgabenpakete gebildet und zugewiesen. Dies führt zu einer Steigerung des Spezialisierungsgrades nach der Maßgabe „Talente auf die richtige Position setzen“. Die Aufgabenpakete werden auf vier Rollen verteilt – das Informationsmanagement, die Methodenentwicklung/Qualitätssicherung, die Assistenz und das Projektmanagement.

  • Der Informationsmanager hat zwei Unterrollen, den Datenanalysten und den Supply-Market-Analysten. Während der Datenanalyst unternehmensinterne Informationen erhebt und gezielt analysiert, ist der Supply-Market-Analyst für die Erhebung und Analyse externer Marktdaten verantwortlich.
  • Der Methodenentwickler/Qualitätssicherer ist für die Konzeption und Weiterentwicklung quantitativer und qualitativer Methoden im strategischen Einkaufsprozess, im Lieferantenmanagement sowie im operativen Einkaufsprozess zuständig. 
  • Die Rolle der Assistenz ist es, die im Einkauf anfallenden unterstützenden Tätigkeiten (z.B. Terminkoordination und Spezifikationspflege) zu erledigen.
  • Der Einkaufsprojektmanager fungiert als „Scharnier“ nach innen und außen und managt dabei die Schnittstellen, die aufgrund der erhöhten Spezialisierung erforderlich ist. Er ist Hauptansprechpartner für Inhaber aller anderen Rollen.

Der Nutzen einer solchen Organisationsform liegt bei kompetenter Einführung in der „Industrialisierung“ des Einkaufs durch den erhöhten Spezialisierungsgrad der Mitarbeiter und Manager.  Eine erhöhte Qualität des Einkaufs und deutlich bessere Arbeitsergebnisse sind die Folge.

Dem strategischen Einkäufer für Werkzeuge aus dem vorherigen Praxisbeispiel wurde angeboten, in einem Jahr die Nachfolge des Leiters Qualitätsmanagement anzutreten, für den bisher kein Nachfolger gefunden werden konnte. In dieser Position konnte der Mitarbeiter sein Talent deutlich besser zur Geltung bringen und entwickeln, da es hier ausschließlich auf die Prüfung der qualitativen Ausprägung der Produkte ankommt. Bei wichtigen Konditionsverhandlungen im Einkauf saß er weiterhin am Verhandlungstisch, jedoch diesmal nur noch mit der „Qualitätsbrille“, um die bestmögliche Qualität sicherzustellen. Im Team zusammen mit einem neuen strategischen Einkäufer gelang es, die Einkaufskonditionen beim bestehenden Lieferanten im niedrigen zweistelligen Prozentbereich zu verbessern. 

Das Beispiel verdeutlicht die positiven Auswirkungen dieser organisatorischen Maßnahme auf den Unternehmensgewinn (durch zusätzliche Einsparungen im Einkauf), Senkung des Unternehmensrisikos (durch höhere Effektivität im Einkauf) und gesteigertes Unternehmensimage (aufgrund des verbesserten Ruf des Einkaufs am Markt wegen der höheren Arbeitsqualität). 

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