Produktionssteuerung: Steuern Sie aktiv Ihre Füllmengen? 9 Praktiker-Tipps zur Füllmengenoptimierung in der Brauindustrie

Selbst bei vordergründig homogenen Produkten variieren die Füllgewichte von Verkaufsverpackungen unterschiedlicher Produzenten stark. So schaffen es einige Hersteller, die auf einer Flasche bzw. Fertigpackung angegebene Nennfüllmenge im Durchschnitt fast punktgenau zu treffen und gleichzeitig eine Unterfüllung zu vermeiden. Andere Hersteller scheinen aus Risikoaspekten eine strategische Überfüllung zu praktizieren, wodurch die Produktkosten unnötig in die Höhe getrieben werden.  

Die Anforderungen an die Füllmenge sind in Deutschland in der Fertigpackungsverordnung geregelt. Die tatsächlichen Füllmengen werden dabei in unregelmäßigen Abständen von den Eichämtern kontrolliert. Bei einer Unterfüllung oder hohen Füllvarianz gehen die Hersteller das Risiko ein, von den Eichämtern mit Bußgeldern und ggfs. weiteren regulatorischen Maßnahmen belangt zu werden. Zusätzlich droht ein Imageverlust.

Was genau fordert die Fertigpackungsverordnung von den Herstellern? 
Im Kern geht es um drei Kriterien, die der Hersteller der Produkte einhalten muss (siehe Abbildung 1):

  1. Der Durchschnitt aller Packungsgewichte muss mindestens der Nennfüllmenge entsprechen. So ist bei einer angegebenen Nennfüllmenge von 500 ml im Durchschnitt über alle Packungen ein Gewicht von 500 ml zu erreichen (wobei einzelne Packungen auch ein Gewicht unter 500 ml aufweisen dürfen).
  2. Maximal 2% aller Packungen dürfen die Technische Untergrenze 1 (TU1) unterschreiten. Die TU1 wird in der Fertigpackungsverordnung in Abhängigkeit vom Füllgewicht oder Füllvolumen definiert und beträgt bei einem Artikel mit einer Nennfüllmenge von 500 ml 15ml. Somit dürfen in diesem Beispiel maximal 2% der Packungen unter 485ml wiegen.
  3. Keine einzige Packung darf die Technische Untergrenze 2 (TU2) unterschreiten. Die TU2 beträgt das doppelte der TU1, also im Fallbeispiel 470ml.

Für Unternehmen der Brauindustrie ist nun die zentrale Herausforderung, die Vorschriften der Fertigpackungsverordnung einzuhalten und gleichzeitig die Überfüllung soweit wie möglich zu reduzieren, um eine wirtschaftliche Abfüllung sicherzustellen.

1. Messen Sie akkurat

Grundlage aller Optimierungen sind aussagekräftige und akkurate Datenaufzeichnungen. In der Praxis sind diese Aufzeichnungen allerdings in vielen Fällen fehlerhaft. So wird bei automatischen Wiegesystemen, bei denen jeder einzelne Artikel verwogen wird, eine sogenannte Tara (das Gewicht der Verpackung) abgezogen, um das Netto-Gewicht des gefüllten Artikels zu ermitteln. Da die Verpackungen allerdings auch Gewichtsschwankungen unterliegen, sollte diese Tara regelmäßig überprüft werden. Die Überwachung des Nettogewichts bei der Abfüllung von Dosen, PET- oder Glasflaschen sollte pro Artikel und Füller erfasst und statistisch analysiert werden. Steht im Abfüllprozess kein automatisches Wiegesystem zur Verfügung, werden in bestimmten Abständen einzelne Proben verwogen. In der Brauindustrie ist dies insbesondere bei Glasflaschen erforderlich, da diese Verpackungen eine eigene Varianz aufweisen und somit über das Gewicht des Endproduktes nicht auf das Gewicht des Inhalts geschlossen werden kann. Bei Mehrwegflaschen kommt hinzu, dass sich das Flaschengewicht im Zeitablauf z.B. durch Scaffing-Prozesse an den Reibringen verändern kann. Der Abfüllprozess dieser Produkte wird daher auch regelmäßig über die Füllhöhe der Flasche und nicht das Gewicht gesteuert. Daher ist hier zunächst das Endprodukte und im Anschluss die geleerte, gespülte und getrocknete Flasche zu verwiegen, um über die Differenz auf den Inhalt zu schließen. Für eine detaillierte Analyse der Performance des Abfüllprozesses ist es essenziell, dass diese Verwiegungen innerhalb kurzer Zeitintervalle erfolgt, um alle möglichen Prozessschwankungen auch erfassen zu können. 

2. Arbeiten Sie digital

Vielfach werden Gewichtsaufzeichnungen noch manuell und Papier-basiert durchgeführt. Für eine umfassende Analyse aller Artikel und Schichten sind diese Daten nicht zu verwenden. Daher ist es entscheidend, systemgestützt zu arbeiten und die Gewichtsdaten in digitaler Form vorzuhalten. In einem ersten Schritt ist dazu eine einfache Excel-Tabelle bereits ausreichend. Hierbei ist darauf zu achten, dass die Daten so in Excel erfasst werden, dass flexible Auswertungen nach Artikel und Abfüllzeitpunkt möglich sind. Bei größeren Abweichungen oder erhöhten Schwankungsbreiten im Abfüllprozess kann es ebenfalls sinnvoll sein, die vorhandenen Papieraufzeichnungen zu digitalisieren. 

3. Erweitern Sie die Datengrundlagen

Für eine detaillierte Überwachung der Abfüll-Performance ist eine automatisierte Vollkontrolle aller Artikel ideal, wobei die Waage alle Wiegedaten in digitaler und somit auswertbarer Form speichert. Manuelle Wiegeprozesse decken in den allermeisten Fällen nur einen kleinen Teil der abgefüllten Produkte ab, so dass die Masse der Produkte im „Blindflug“ abgefüllt wird. Zudem ist der Erhebungsaufwand bei manuellen Prozessen deutlich höher und die Ergebnisse sind fehleranfälliger. Letztendlich sind die Analyseergebnisse bei großen Datenmengen deutlich aussagekräftiger, so dass Optimierungsstrategien stringenter und zielgenauer abgeleitet werden können. Daher führen Sie – wenn immer möglich – automatisierte Vollkontrollen für alle Artikel durch. Insbesondere bei Investitionsvorhaben in neue Anlagen sollte diese Form der Gewichtskontrolle eingeplant werden, sodass automatisierte und statistisch fundierte Analysen über verschiedene Wiegestationen auf dem neuesten Stand der Technik durchgeführt werden können. Aufgrund der Varianz des Flaschengewichts wird dies – wie oben beschrieben – bei Glasflaschen zwar kaum möglich sein, bei anderen Verpackungsformaten mit geringer Gewichtsvarianz kann die beschriebene Technologie aber gut eingesetzt werden.

4. Berechnen Sie Mittelwert und Standardabweichung der Gewichtsverteilung

In den meisten Unternehmen wird heute schon der Mittelwert der Packungsgewichte regelmäßig erhoben, sei es über Vollkontrollen oder über Stichproben. Der Mittelwert allein ist jedoch nicht hinreichend aussagekräftig, um die Abfüll-Performance umfassend zu beurteilen, da die Streuung der Artikel um einen Mittelwert ebenso entscheidend ist. Hintergrund ist, dass hohe Schwankungsbreiten dazu führen, dass das Nennfüllgewicht zwar im Mittel erreicht wird, es aber eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür gibt, dass 

  • es Artikel gibt, deren Gewichte unter der TU2 liegen,

  • der maximale Wert von 2% der Packungen, die zwischen TU1 und TU2 liegen dürfen, überschritten wird, und 

  • das Eichamt im Rahmen der Stichprobenkontrolle vermehrt unterfüllte Artikel zieht, so dass im Mittel der Stichprobe das Nennfüllgewicht nicht erreicht wird.

Um verschiedene Artikel miteinander zu vergleichen, bietet es sich einerseits an, den Mittelwert in Prozent der Nennfüllmenge auszudrücken (dies entspricht der durchschnittlichen prozentualen Über- bzw. Unterfüllung). Andererseits ist es sinnvoll, die Standardabweichung als Variationskoeffizient darzustellen (Standardabweichung geteilt durch Mittelwert), um diese absolute Größe auch als Relativwert darzustellen.

5. Definieren Sie individuelle Optimierungsstrategien für jeden Artikel

Auf Basis der Einordnung der Artikel nach Mittelwert und Schwankungsbreite können individuelle Optimierungsstrategien für jeden Artikel abgeleitet werden. Artikel mit einer durchschnittlichen Unterfüllung erfüllen eines der zentralen Kriterien der Füllmengenverordnung nicht. Hier ist die Füllmenge sofort zu erhöhen. Sind die Schwankungsbreiten hoch und die Überfüllung gering, sollten die Füllmengen kurzfristig erhöht werden, da es durch hohe Schwankungsbreiten eine erhöhte Wahrscheinlichkeit gibt, dass das Eichamt bei einem Test eine überdurchschnittliche Anzahl an unterfüllten Artikel misst und somit die Nennfüllmenge im Durchschnitt nicht erreicht wird. Bei hoher Überfüllung und hoher Schwankungsbreite ist zunächst einmal das Risiko des Nicht-Bestehens des Eichamts-Tests gering. Diese Sicherheit wird über hohe Materialkosten erkauft. Daher ist für diese Artikel die Zielsetzung, die Schwankungsbreite zu reduzieren, um dann im Anschluss die Füllmengen reduzieren und Materialkosten einsparen zu können. Bei Artikeln mit geringen Schwankungsbreiten und erhöhten Füllmengen besteht ein kurzfristiges Kostensenkungspotential. Diese Art der Überfüllung sollte im Sinne der Materialaufwendungen vermieden werden. Nur bei den Artikeln in mit geringer Schwankungsbreite und leichter Überfüllung kann von Best-Practice gesprochen werden. Da die Schwankungsbreite je nach technischer Ausstattung von produktspezifischen Faktoren abhängig sein kann, bietet es sich an das Artikelsortiment auch hinsichtlich der Korrigierbarkeit von Schwankungsbreiten zu klassifizieren und Optimierungsstrategien gezielt anzusetzen. 

6. Arbeiten Sie mit Wahrscheinlichkeiten

Wie in Punkt 5 dargestellt, kann nicht nur eine durchschnittliche Unterfüllung der Packungen zum Nicht-Bestehen des Eichamt-Tests führen, sondern auch eine hohe Schwankungsbreite der Abfüllgewichte. Da die Testverfahren des Eichamts in der Füllmengenverordnung exakt beschrieben werden, ist es mit einigen einfachen statistischen Überlegungen möglich, die Wahrscheinlichkeit des Nicht-Bestehens des Eichamt-Tests für jeden Artikel individuell zu ermitteln. Diese ermittelte Wahrscheinlichkeit beträgt bei nahezu keinem Hersteller null (außer bei Ausschleusung aller Packungen unterhalb der Nennfüllmenge, was jedoch wirtschaftlich nachteilig ist). Bei Festlegung eines Ziel-Risikos durch das Unternehmen kann dann im Umkehrschluss bei gegebener Schwankungsbreite ein Ziel-Mittelwert für die Abfüllmannschaft vorgegeben werden. 
 

7. Betreiben Sie internes Benchmarking

Egal ob Sie über Vollaufzeichnungen verfügen oder ob Sie die Gewichtsdaten Ihrer Produkte händisch ermitteln, ein internes Benchmarking der Abfüllprozesse ist in jedem Fall sinnvoll. Hierbei können Sie nicht nur Standorte oder Abfülllinien miteinander vergleichen, sondern auch die Performance einzelner Schichten an einer Anlage. Durch diesen datengetriebenen Vergleich werden Verbesserungsmöglichkeiten nicht nur schnell sichtbar, sondern können auch zeitnah umgesetzt werden, da das entsprechende Know-how im Hause ja existiert. Gleichzeitig ist ein internes Benchmarking schnell aufgesetzt und kostengünstig zu realisieren.

8. Betreiben Sie externes Benchmarking

In der Brauindustrie ist es – wie in der gesamten Lebensmittelindustrie – problemlos möglich, ein Benchmarking durchzuführen, da die Produkte der Wettbewerber im Handel erworben werden können. Bei einem Produktpreis von Beispielsweise einem Euro und einer sinnvollen Stichprobengröße von etwa 50 Packungen liegen die Kosten für ein externes Benchmarking bei überschaubaren 50 Euro pro einbezogenem Artikel. Eine Analyse der Füllmengen Ihrer Wettbewerber kann wesentliche Aufschlüsse darüber geben, welche Prozessperformance im Hinblick auf Füllmenge und Schwankungsbreite erreichbar ist. Auf diese Weise können theoretische Vergleiche ausgeschlossen werden, da der Wettbewerber ggf. bewiesener Weise eine überlegene Prozessperformance aufweist. Bei einem mittelständischen Hersteller mit einem Absatz von 1 Mio. hl führt eine Reduzierung des Materialeinsatzes um 0,3%-Punkte bei einem Materialwert von 0,25 Euro pro Flasche bereits zu einem Potential von 75.000 Euro. 

9. Schulen Sie Ihre Mitarbeiter und geben Sie regelmäßig Feedback

Eine intensive Beschäftigung mit den Regeln der Füllmengenverordnung sollte für alle Unternehmen selbstverständlich sein, die Fertigpackungen in den Verkehr bringen. Häufig ist dieses Wissen in den zuständigen Produktionsbereichen jedoch nur rudimentär oder nur konzentriert bei bestimmten Personen vorhanden. In hochperformanten Abfüllprozessen kennen auch die Mitarbeiter an den Abfülllinien die Feinheiten der Fertigpackungsverordnung. So können Abfüllprozesse auf den Punkt gesteuert werden. Voraussetzung dazu ist ein regelmäßiges Feedback hinsichtlich der Abfüllperformance, das nicht nur aus dem erreichten Mittelwert, sondern auch die Schwankungsbreite des Prozesses und die Wahrscheinlichkeit des Nicht-Bestehens des entsprechenden Eichamt-Tests beinhalten sollte. Nicht zuletzt könnte die Abfüll-Performance auch Eingang in das Anreizsystem der Mitarbeiter finden.

Fazit

Sich intensiv mit den Füllmengen zu befassen ist für jedes Unternehmen der Brauindustrie ein Muss.  Nur durch eine detaillierte Analyse von Mittelwerten und Schwankungsbreiten können sichere Aussagen über die Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Füllprozesse gewonnen werden. Während die Füllmengen von durchschnittlich unterfüllten Artikeln umgehend erhöht werden sollten, bieten überfüllte und stark schwankende Artikel ein brachliegendes Optimierungspotential. Dieses kann über Analysen und Betriebs- oder Produktvergleiche schnell erkannt werden. Ein Großteil des Potentials kann im Regelfall ohne größere Investitionen realisiert und aufgrund reduzierter Rohstoffkosten GuV-wirksam umgesetzt werden.