Supply Market Intelligence optimal nutzen – Die Weiterentwicklung der Einkaufsmarktforschung

Die Erforschung des Einkaufsmarktes hat vielen Unternehmen in der jüngsten Vergangenheit Einspareffekte und Qualitätsverbesserungen gebracht. Jetzt, in Zeiten des Einkaufs 4.0, geht es darum, die Einkaufsmarktforschung weiterzuentwickeln – durch Nutzung von Supply Market Intelligence (SMI). Wie das funktioniert, wird hier im Überblick dargestellt.

1) Welches Ziel verfolgt Supply Market Intelligence?

Der Einkauf eines Unternehmens bewegt sich je nach zu beschaffender Warengruppe auf verschiedensten Einkaufsmärkten, die alle unterschiedlichen Bedingungen unterliegen. Entsprechend umfassend sollte der Einkauf 4.0 über aktuelle Trends und Herausforderungen informiert sein und die führenden sowie die stark wachsenden Einkaufsmärkte mit ihren jeweiligen Lieferanten kennen. Derzeit ist das eine Wunschvorstellung. Die Realität sieht in zahlreichen Einkaufsabteilungen anders aus. De facto ist es so, dass vom Einkauf aufgrund fehlender Research-Erfahrung der Einkäufer keine systematische und professionelle Einkaufsmarktforschung durchgeführt wird. Dazu kommt, dass der Einkauf starken Gegenwind aus verschiedenen Fachabteilungen erhält.  Produktion oder Forschung & Entwicklung zum Beispiel legen den Fokus des Einkaufs oft nur auf Qualität und Versorgungssicherheit. Allein deswegen scheut man Veränderungen des Einkaufsprozesses im Hinblick auf neue Einkaufsmärkte und Lieferanten. Somit bleibt dem Einkauf meistens keine andere Wahl, als sich dem Druck der Fachbereiche zu beugen. Die Folge stetig „gleich mahlender Mühlen“ ist, dass Lieferanten, die bereits seit vielen Jahren die gleichen Artikel mit den gleichen oder maximal leicht veränderten Spezifikationen liefern, so bleiben wie sie immer waren. Der Einkauf verpasst dadurch Trends hinsichtlich neuer Einkaufsmärkte, Lieferanten und Spezifikationsoptimierungen und somit auch ein optimales Einkaufsergebnis. Zur Erzielung einer Kehrtwende zur langfristigen Festigung der Wettbewerbsfähigkeit am Einkaufsmarkt stehen die Verantwortlichen vor einer zentralen Herausforderung:

„Wie kann der Einkauf den Sourcing- und Lieferantenmanagement-Prozess deutlich verbessern, gleichzeitig Einsparungen erzielen und die Qualität sowie Versorgungssicherheit gewährleisten?“

Das Konzept der Supply Market Intelligence (=SMI) wird von einem Team aus professionellen Einkaufsmarktforschern (=Supply-Market-Analysten) umgesetzt. Die Teammitglieder screenen über alle Warengruppen hinweg die relevanten Einkaufsmärkte „am Fließband“ über einen systematischen Prozess und  schaffen damit als integraler Bestandteil der Einkaufsabteilung die Basis für ein optimales Einkaufsergebnis.  

2) Wie funktioniert SMI?

Um weltweit alle relevanten Einkaufsmärkte je Warengruppe erfolgreich zu analysieren, müssen zahlreiche Aktivitäten anhand eines systematischen Prozesses der Reihe nach abgearbeitet werden. Neben einer umfassenden Produkt- und Branchenanalyse, in welcher u.a. Trends und Herausforderungen erfasst werden, zählt die Identifikation und Analyse potentieller Einkaufsmärkte und -regionen sowie Lieferanten zu den Hauptaktivitäten im SMI-Prozess, wie in der Abbildung dargestellt.

Abbildung 1: Vorgestellung Vorgehensweise SMI

Um das übergeordnete SMI-Ziel – die Identifikation potentieller Lieferanten in den zuvor definierten optimalen Einkaufsmärkten und -regionen – zu erreichen, wird in zwei Phasen vorgegangen. 

  • Innerhalb der ersten Phase (= Makroanalyse) werden optimale Einkaufsmärkte und –regionen über einen dreistufigen Prozess identifiziert. Hierbei gilt es zunächst sowohl intern als auch extern eine transparente Faktenbasis zu schaffen. Der Supply Market Analyst muss sich auf der einen Seite fragen, welches Ziel die einzelnen Fachbereiche verfolgen und welche internen Restriktionen bei der Einkaufsmarkt- und Lieferantenwahl zu berücksichtigen sind. Auf der anderen Seite  gilt es, ein umfassendes Verständnis für die jeweilige Branche einer Warengruppe aufzubauen und nicht nur die Wertschöpfung- und Fertigungsprozesse zu verstehen, sondern auch die primären Kostentreiber mit Hilfe einer Kostenstrukturanalyse zu identifizieren.
    • Aufbauend auf der geschaffenen Faktenbasis folgt im nächsten Schritt die Identifikation potentieller Einkaufsmärkte, um festzustellen, in welchen Ländern das gesuchte Produkt/die gesuchte Warengruppe überhaupt hergestellt wird. Hierbei ist es grundlegend wichtig, dass die Verfügbarkeit des Beschaffungsobjekts (= das Produkt kann produziert und in das jeweilige Zielland, z.B. Deutschland,  importiert werden) sichergestellt wird. Dies erfolgt über die Analyse des absoluten Importvolumens aus dem Vorjahr sowie der Berücksichtigung des Importwachstums über die letzten drei Jahre. Auf diese Weise werden Top-Einkaufsmärkte und möglicherweise unbekannt Wachstumsmärkte für die weitere Analyse identifiziert. Alle anderen und nicht relevanten Einkaufsmärkte werden für die weitere Betrachtung ausgeschlossen. 
    • Im dritten und letzten Schritt der ersten SMI-Phase werden die identifizierten Einkaufsmärkte weiter gefiltert und, sofern sinnvoll, zu Regionen zusammengefasst. In unserer internen HHC-SMI-Datenbank werden die Einkaufsmärkte auf vier Wettbewerbsdimensionen bewertet:
       
      1. Hauptkostentreiber
      2. Sozialer Entwicklungsstand
      3. Volkswirtschaftliche Situation
      4. Politische Situation
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  • Je nach Gewichtung und Bewertung der einzelnen Dimension werden die Einkaufsmärkte gerankt, ggf. zu Regionen zusammengefasst und für die weitere Lieferantenrecherche priorisiert. 
  • Die Definition eines optimalen Lieferantenkreises ist das Ziel des vierten und letzten Prozessschrittes in der zweiten SMI-Phase (= Mikroanalyse). Dabei werden die Anzahl potentieller Lieferanten u.a. über einen telefonischen Erstkontakt und die Durchführung einer Lieferantenselbstauskunft bis hin zu Lieferantenbesuchen systematisch reduziert. Anschließend ist der Lieferanten-Pool für ein mögliches Preisbenchmarking und/oder Testing erfolgreich definiert. 

Eingliederung in den strategischen Einkaufsprozess

Innerhalb des strategischen Einkaufsprozesses ist SMI die Weiterentwicklung der klassischen Einkaufsmarktanalyse (siehe nachfolgende Abbildung). Da der SMI-Prozess jedoch auch unabhängig vom strategischen Einkaufsprozess durchgeführt werden kann, überschneiden sich teilweise die Anforderungen der Bedarfsanalyse mit den Anforderungen der Analyse der Warengruppe und Branche (z.B. Erfassung interner Restriktionen). Daher ist es wichtig, dass die bereits in der Bedarfsanalyse erhobenen Daten auf ihre „SMI-Tauglichkeit“ hin geprüft und wo erforderlich ergänzt werden.

Abbildung 2: Einordnung von SMI in den strategischen Einkaufsprozess

3) Wer ist der geeignete Supply Market Analyst in Ihrem Einkauf?

Die Hauptaufgaben des Supply-Market-Analysten sind die Durchführung des systematischen SMI-Prozesses und dessen kontinuierliche Weiterentwicklung. Hierbei ist es essentiell, dass dieser dafür qualifiziert ist, mit „state-of-the-art“ Markforschungsmethoden zu arbeiten, die warengruppenübergreifend einsetzbar und warengruppenspezifisch modifizierbar sind. Neben der Begeisterung für das Aufbrechen „alter Denkmuster“ muss der Supply Market Analyst daher folgende Qualifikationen vorweisen:

  • Fundiertes Know-how im Bereich Research und Marktforschung
  • Erfahrung im Umgang mit externen Datenbanken und dem Aufbau bspw. interner Lieferantendatenbanken
  • Analytische und kreative Denk- und Arbeitsweise
  • Fließende Deutsch- und Englischkenntnisse, weitere Fremdsprachen zur nationalen Lieferantenrecherche sind vorteilhaft 

4) Wann und wie wird SMI in der Praxis angewendet?

In klassischen Sourcing-Initiativen nutzen wir SMI bereits als erfolgreiche Weiterentwicklung der bisherigen Einkaufsmarktforschung, um den optimalen Lieferantenpool für die Ausschreibung sowohl von gängigen (z.B. Verpackungen) als auch komplexen (z.B. Wendeschneidplatten) Warengruppen systematisch und nicht „zufallsgetrieben“ zu definieren. Des Weiteren kann der SMI-Prozess auch „fernab“ des strategischen Einkaufsprozesses durchgeführt werden, um lediglich potentielle Lieferanten anhand einer Lieferantenselbstauskunft zu identifizieren, ohne die Zielsetzung einer klassischen Ausschreibung zu verfolgen. 

Dies haben wir z.B. für zwei Pilotwarengruppen bei einem führenden Energieversorgungskonzern angewendet. Die Herausforderung hierbei war, dass die ausgewählten Warengruppen keine „Stangenware“ waren, sondern hoch komplex und deshalb in enger Zusammenarbeit mit dem Lieferanten gemeinsam entwickelt werden mussten. Auch hier konnten wir jedoch erfolgreich auf unser SMI-Vorgehen zurückgreifen. So haben wir anhand der ersten beiden SMI-Prozessschritte potentielle Einkaufsmärkte identifiziert, die anschließend aufgrund ihrer geografischen Lage zur Region Mittel- und Osteuropa zusammengefasst werden konnten. Über eine fundierte Lieferantenrecherche haben wir letztlich von mehr als 160 identifizierten Lieferanten, circa zwei Drittel zur Lieferantenselbstauskunft eingeladen und ca. 50 Selbstauskünfte ausgefüllt zurückerhalten. Dies entspricht einer Rücklaufquote von mehr als 40%, was besonders in diesen hoch komplexen Warengruppen als signifikanter Erfolg verbucht werden kann. Anschließend wurden die erhaltenen Lieferantendaten mit Hilfe einer umfangreichen Datenbank ausgewertet, so dass schließlich rd. 10 Lieferanten für einen ersten Lieferantenbesuch priorisiert wurden. 

Sowohl bei der Lieferantenidentifikation als auch bei der finalen Auswahl haben wir in diesem Projekt besonders darauf geachtet, die komplexen Spezifikationen und Anforderungen detailliert zu erläutern. Auf diese Weise konnten wir sicherstellen, dass die final ausgewählten Lieferanten die Kundenanforderungen auch erfüllen können.

Fazit

Die Praxis zeigt also: SMI ist kein weiteres theoretisches „Kabinettsstückchen“, sondern ein anwendbares Konzept zur Identifikation optimaler Lieferanten. Die Suche wird hierbei systematisch und somit auch deutlich zeiteffizienter durchgeführt. Das „Stochern“ im großen Weltmarkt ist damit ein für alle Mal passé.