Die Erfolgsformel für den Einkauf: Einsparpotenziale systematisch aufspüren
Führerschein 1980 gemacht? dann haben Sie genügend Erfahrungen, um ein exzellenter Autofahrer bzw. Einkaufsleiter zu sein. Vielleicht bedarf es aber einer Auffrischung der theoretischen Kenntnisse, die Neu- und Seiteneinsteiger im Einkauf auf jeden Fall benötigen. Dieser Beitrag zeigt, wie die Erfolgsformel im Einkauf aussieht.
Beim Versuch, die Einkaufskosten zu minimieren, gilt ebenso wie beim Fußballspielen: Mit der „Brechstange“ allein kommt man eher selten zum Ziel. Entsprechend wichtig ist es, die verschiedenen Einsparhebel zu kennen und diese gezielt zu kombinieren und einzusetzen.
Der Einkauf ist an zahlreiche Determinanten gebunden, die sich stetig ändern, wie beispielsweise die Marktsituation oder die Marktmacht des Unternehmens. Deshalb ist das Identifizieren von Sparpotenzialen keine einmalige Aktion: Es ist ein fortwährender Prozess. Doch wo sollen wir anfangen und wo aufhören? Das fragen sich Unternehmensführer und Einkaufsmanager immer wieder – unter anderem, weil ihnen zuweilen ein Instrument zum systematischen Identifizieren von Einsparpotenzialen fehlt. Ein solches Instrument ist die Erfolgsformel für den Einkauf. Sie zeigt die zwei verschiedenen strategischen Stoßrichtungen zum Erzielen von Einsparungen im Einkauf auf.
Eine Strategie für den Einkauf
Der Einkauf beschafft Material und Dienstleistungen. Dabei gilt: Die Kosten sind das Produkt aus Preis und Menge beziehungsweise Prozesskosten und Menge. Für das Optimieren der Materialkosten kann also entweder an der Preis- und Prozesskosten- oder an der Mengenschraube oder an allen drei Schrauben gedreht werden. Deshalb unterscheidet die Erfolgsformel für den Einkauf Preis- und Prozesskostenhebel von Mengenhebeln und ermöglicht damit eine ganzheitliche Betrachtung der Kosten.
Quantifiziert werden die Optimierungshebel durch internes oder externes Benchmarking. Internes Benchmarking erfolgt durch einen Konditionenvergleich im eigenen Unternehmen zwischen verschiedenen Abteilungen, Sparten oder auch Standorten. Zur Durchführung eines externen Benchmarkings werden hingegen Angebote alternativer Lieferanten eingeholt, um eventuelle Einsparpotenziale zu identifizieren.
1. Die Preis- und Prozesskostenhebel nutzen
Die Hebel zum Senken der Preise und Prozesskosten haben unterschiedliche Ausrichtungen: Die einen versuchen mit einer aggressiven Kostenoptimierung, die leicht zu erzielenden Einsparungen zu realisieren. Bekannte Hebel dafür sind die Volumenbündelung und die Erweiterung Lieferantenkreises. Die als anspruchsvoller geltenden Hebel zielen dagegen auf eine „smarte" Kostenoptimierung ab und versuchen, die nicht auf den ersten Blick ersichtlichen Potenziale zu erschließen. Dazu gehören Hebel wie die Spezifikationsoptimierung und Optimierung der Supply Chain.
Hebel 1: Volumenbündelung. Hat ein Unternehmen sehr viele Lieferanten, dann ist dies oft ein Hinweis auf einen Mangel an strategischer Ausrichtung des Einkaufs. Eine Analyse der Beschaffungsgruppen und des Einkaufsmarkts erlauben in diesem Fall die notwendige Korrektur. Diese Analyse ist umso wichtiger, je mehr Sparten und Standorte ein Unternehmen hat. Denn diese tendieren dazu, selbstständig und unabhängig voneinander einzukaufen. Hier hilft nur eine übergreifende Bündelung der Einkaufsvolumina von Beschaffungsgruppen, Geschäftsbereichen und Standorten. Durch eine Volumenbündelung und Reduktion der Lieferantenzahl erhöht sich auch die Verhandlungsmacht des Unternehmens. Über die geeignete Zahl von Lieferanten muss von Unternehmen zu Unternehmen individuell entschieden werden.
Hebel 2: Erweiterung des Lieferantenkreises. Der bestehende Lieferantenkreis kann durch inländische und ausländische Lieferanten verstärkt in den Wettbewerb gestellt werden. Viele Unternehmen zögern, das Angebot ausländischer Märkte durch beispielsweise Global Sourcing für ihren Einkauf zu nutzen. Damit bleiben wertvolle Einsparpotenziale ungenutzt. Bei einer Analyse der ausländischen Märkte kann man meist schnell Lieferanten identifizieren, die signifikante Kostenvorteile gegenüber den heimischen Lieferanten bieten. Bezüglich Produktqualität und Versorgungssicherheit ist zwar oft Vorsicht geboten, aber ein konsequenter Lieferantenaufbau minimiert das Risiko. Ist das Auslandsgeschäft etabliert, können durch das Nutzen von Währungsschwankungen weitere Einsparungen erzielt werden.
Hebel 3: Spezifikationsoptimierung. Durch ein „leichtes“ Verändern der Spezifikation eines Produkts oder einer Dienstleistung sollen günstigere Einkaufspreise erzielt werden. Dabei darf sich die Qualität des Produkts oder der Dienstleistung jedoch nur im vorgegebenen Maß ändern. Die Substitution kostenintensiver Produkt- oder Dienstleistungsbestandteile durch geeignete günstige Alternativen birgt weiteres Einsparpotenzial. Auch eine stärkere Standardisierung oder Entfeinerung der Produkte ist vielversprechend. Zum Beispiel entstehen durch eine Reduktion der Variantenvielfalt größere Einkaufsvolumina, was auch die Produktionskosten lieferantenseitig senkt.
Hebel 4: Optimierung der Supply Chain. Eine kritische Betrachtung der gesamten Lieferkette offenbart oft interessante Einsparpotenziale. So lassen sich mit IT-Lösungen häufig die Prozesskosten senken wie z.B. durch den Einsatz von elektronischen Katalogen zur Optimierung von Bestellprozessen. Auch beim physischen Materialfluss und in der Logistik gibt es viele Ansatzpunkte für Einsparungen. So können z.B. durch die Optimierung von Beständen das sogenannte Working Capital gesenkt werden. Ein weiterer Ansatz ist die Restrukturierung der Beziehung zum Lieferanten. Der Einkauf sollte sich fragen, ob die Beziehung zum Lieferanten überhaupt sinnvoll ist. Eine Reflexion der Preise der Vorlieferanten und das Erwägen eines Direkteinkaufs bei ihnen sind oft aufschlussreich. Zuweilen ist es sinnvoll, bestimmte Produkte selbst herzustellen. Um dies zu ermitteln, gilt es einen detaillierten Kostenvergleich zwischen Eigenleistung und Fremdbezug durchzuführen.
Übergeordneter Hebel: internes/externes Benchmarking. Um die vier Preis-/Prozesskostenhebel hinsichtlich ihrer Wirksamkeit einschätzen zu können, müssen die Einsparpotenziale quantifiziert werden. Wenn unternehmensintern bereits Vergleichskonditionen zum Beispiel für Spezifikationsoptimierungen vorliegen, dann kann hierüber ein firmeninternes Benchmarking erfolgen. Oft sind entsprechende Daten jedoch nicht vorhanden. Dann empfiehlt es sich in der Regel, ein externes Benchmarking durchzuführen. Für alternative Spezifikationsvorschläge können beispielsweise Angebote von Lieferanten eingeholt werden, um abzuschätzen, ob sich eine Spezifikationsoptimierung überhaupt lohnt.
2. Die Mengenhebel ansetzen
Die Mengenhebel lassen sich seltener als die Preis- und Prozesskostenhebel zum Einsatz bringen. Das macht ihre Prüfung aber nicht weniger wichtig. Denn einmal zum Einsatz gebracht, lassen sich mit ihnen signifikante Einsparungen erzielen. Die radikale Ausgangsfrage der Prüfung ist, ob Beschaffungsgruppen überhaupt und wenn ja, in welchen Mengen benötigt werden. Die Mengenhebel sind eindeutig und ihre Wirkungsweise ist in der folgenden Abbildung zusammengefasst.
Kritische Einordnung der Hebelsystematik
Der „reinen Lehre“ folgend, empfehlen sich bestimmte Hebel für bestimmte Unternehmenssituationen. Eine gängige Systematik zur Kategorisierung von Beschaffungsgruppen ist die 2x2 Matrix. In ihr bildet eine Achse die strategische Bedeutung der Beschaffungsgruppe für das Unternehmen und die andere die Komplexität des Einkaufsmarktes ab.
Aufgrund der dargestellten Systematik wird häufig empfohlen, bei einer geringen Komplexität des Einkaufsmarkts die Hebel zur aggressiven Kostenoptimierung - also Volumenbündelung und Erweiterung des Lieferantenkreises - einzusetzen. Die „smarten“ Hebel wie Spezifikationsoptimierung und die Optimierung der Supply Chain hingegen sollen, wenn überhaupt, erst später angewendet werden.
Wer solchen Hinweisen folgt, verschenkt unter Umständen enorme Einsparpotenziale. Das sei am Beispiel eines Versicherungsunternehmens und seines Printbedarfs illustriert: Allein in Deutschland kamen für das Erstellen der Printprodukte der Versicherung Tausende von Druckereien als Lieferanten in Frage. Zudem boten zahlreiche Druckereien aus dem Ausland ihre Dienste an. Für die Versicherung hatte die Beschaffungsgruppe „Print“ eine hohe strategische Bedeutung, weil ihr Geschäft weitgehend über gedruckte Versicherungsanträge, Broschüren und Flyer abgewickelt wird. Aufgrund der enorm hohen Zahl an Druckereien ist im Printbereich der Wettbewerb hoch und die Komplexität des Einkaufsmarkts daher gering. Also lag es aufgrund der oben dargelegten Systematik nahe, die Beschaffungsgruppe Print ausschließlich über das Ausnutzen der Einkaufsmacht, der Volumenbündelung und der Erweiterung des Lieferantenkreises zu optimieren
Im konkreten Projekt zeigte sich aber, dass sich mit den smarten Hebeln
- Spezifikationsoptimierung (zum Beispiel Harmonisierung der Papiersorten und -formate) sowie
- Optimierung der Supply Chain (zum Beispiel Vorverhandeln der Papierpreise, Optimierung der Print-Logistik und getrennter Einkauf von Druckvorstufe und Druck)
wesentlich höhere Einsparungen erzielen ließen. Bei einem schematischen Vorgehen gemäß der gängigen Systematik wären sie nicht oder erst in einem weiteren Schritt zum Einsatz gekommen.
Erfolgsfaktoren beim Identifizieren von Einsparpotenzialen: Das Wissen um die Systematik der Erfolgsformel für den Einkauf alleine garantiert noch nicht den Erfolg. Es gibt weitere Erfolgsfaktoren.
Prozessdenken: Die Erfolgsformel für den Einkauf unterstützt Unternehmen bei der Auswahl ihrer Einkaufsstrategien für sämtliche Beschaffungsgruppen. Ohne Vor- und Nacharbeiten ist die Strategie aber nicht anwendbar. Erst nach einer Klärung des Bedarfs und einer Analyse des Einkaufsmarktes kann der Einkauf mit dieser Formel Einsparhebel prüfen und auswählen. Die Lieferantenanalyse und -auswahl schließt sich an. Der Prozess endet mit der vertraglichen Fixierung und Implementierung.
Cross-funktionale Teams: Beim Heben der Einsparpotenziale sollte der Einkauf Hand in Hand mit dem Fachbereich und gegebenenfalls dem Controlling arbeiten, z.B. bei der Messung der Einsparungen, um eine ganzheitliche Betrachtung zu erreichen.
Systematische Vorgehensweise: Um die Hebel erfolgreich zu prüfen, benötigt der Einkauf eine Vielzahl von Informationen. Baumdiagramme strukturieren Arbeitsfragen und -thesen in logischen Ketten und systematisieren potenzielle Informationsquellen.
Reporting/Erfolgsmessung: Ohne ein Reporting und eine Erfolgsmessung ist ein Quantifizieren der Einsparungen nicht möglich. Reporting und Erfolgsmessung schaffen Verbindlichkeit und einen gesunden Handlungsdruck bei den involvierten Mitarbeitern.
Moderator: Ein Moderator, der die Erfolgsformel kennt, kann als „Wadenbeißer“ agieren und das Identifizieren der Einsparpotenziale antreiben. Als neutrale Instanz sorgt der Moderator für die Prüfung aller relevanten Hebel. Damit ist ein entscheidender Beitrag zum Quantifizieren und Realisieren der Einsparpotenziale geleistet.
Hebel kombinieren und einsetzen mit der Erfolgsformel
Die besten Fußballer eines Landes spielen für dessen Nationalmannschaft. Trotzdem begeben auch sie sich vor wichtigen Spielen und Turnieren in Trainingslager. Denn auch sehr gute Spieler können sich stetig verbessern und müssen je nach Gegner auf unterschiedliche Spieltaktiken eingestimmt werden. Dasselbe gilt für den Einkauf. Auch er muss sich stets optimieren, damit er auf aktuelle und antizipierte Marktbedingungen, Produkt- oder Preisentwicklungen adäquat reagieren kann. Die Erfolgsformel für den Einkauf weist den Beteiligten die Richtung und sorgt als Lotse dafür, dass kein Hebel außer Acht gelassen wird. Gerade Einkäufer, die überzeugt sind, alle Potenziale ausgeschöpft zu haben, sollten kritisch prüfen, ob nicht doch noch Einsparungen zu erzielen sind. Denn das Thema, die Kosten-Nutzen-Relation verbessern, ist ein Dauerbrenner in Unternehmen.